Originaltitel: GOODBYE CHRISTOPHER ROBIN
GB 2017, 107 min
FSK 6
Verleih: Fox
Genre: Drama, Biographie
Darsteller: Domhnall Gleeson, Margot Robbie, Kelly Macdonald, Will Tilston
Regie: Simon Curtis
Kinostart: 07.06.18
… der kein Kind sein durfte. Aber Moment, zurück, einen Schritt nach dem nächsten. Und Billy Moon vorgestellt, innerfamiliärer Rufname, bürgerlich heißt er Christopher Robin, (be-)merkenswert gespielt vom Nachwuchsmimen Will Tilston, den berühmten Filmeltern fast ebenbürtig – Domhnall Gleeson als Vater Alan und Margot Robbie in der Daphne benannten Mutterrolle. Da kann nichts wirklich Schlimmes passieren.
Billy hingegen schon, konkret wächst er in einem Umfeld karger Lieblosigkeit auf. Alan laboriert am Kriegstrauma, Daphne regiert mit eisigem Habitus, haßt ihr vergeudetes Leben, wäre gern Partylöwin im Swingin’ London statt gelangweilter Herrscherin über ein Sussexer Landhaus. Manchmal flackert zwar zumindest Billy gegenüber so etwas wie Zuneigung auf, das Flämmchen verlischt indes stets in rasender Eile. Derweil wirft sich Robbie ohne Sicherheitsleine hinein in jene negative Figur, die schönen Augen taxieren kalt, es wird egomanisch gefordert, verletzt, abgestoßen. Dazu gehört Mut, den Robbie bereits früher bewies, hier geht nun jede Restvorsicht flöten, zugunsten formidabler Charakterzeichnung.
Kein Wunder, daß Daphnes temporäre Flucht zur Annäherung von Papa und Sprößling führt, zumal Nanny Nou, herzensgut und für Billy die wahre Mama, ebenfalls vorübergehend das Heim verließ. Der Junge erfindet kurzerhand Winnie The Pooh inklusive Ferkel, I-Aah, Tigger & Co., Alan macht daraus ein Buch. Dessen Erfolg man kennt, doch der Ruhm offenbart bald Schattenseiten …
Zugegeben, sein Kinodebüt MY WEEK WITH MARILYN hat Regisseur Simon Curtis vor einigen Jahren insgesamt dezenter angefaßt, und sollte er tatsächlich Situationen bloß skizzieren, malt Carter Burwells enttäuschend soßige Musik den Entwurf dickpinselig zu Ende. Meint: Das Ganze ist selten fein gedrechselt, sondern oft recht grob geschnitzt. Was allerdings weder einen Qualitätsschock noch bei fairer Betrachtung Grund zur abwertenden Kritik stellt. Weil es nie daran hindert, sich an echten Kinobildern regelrecht zu berauschen, einen unauffälligen Durchschnittswald als Ort knisternder Magie, ihre Verwirklichung herbeisehnender Träume zu erleben. Man dennoch tief eintaucht ins Schicksal des Knaben, Gefangener einer Welt, deren prominent nach außen getragene Freude und Unschuld ihm selbst genommen werden, täglich neu und nicht nur dann, wenn eine Redakteurin der „Times“ ihre gierigen Finger ausstreckt, oder wildfremde Menschen auf zündende Ideen für vermeintlich tolle Fotos kommen. Billys alias Christopher Robins Zusammenfassung des Geschehens, ein Höhepunkt zutreffender kindlicher Logik: „Wieso holen die sich nicht eigene Bären?“
Und schließlich an die sich von Triefigkeit heimgesucht fühlenden Kollegen: Was mag bitte falsch daran sein, daß Curtis uns in Finalnähe abholt, indem er die große Klaviatur der Emotionen auspackt?! Vielleicht überdimensioniert, sicher zu verquatscht, ja, trotzdem enorm effektiv, inklusive zweier Szenen hoher Nachhaltigkeit. Erstens: Nanny Nou entschuldigt sich dafür, um den fremden Sohn zu weinen. Zweitens: Daphne verweigert Billy vor dessen Einziehung den Abschied. Leicht zu übersehen, dieses kurze Blinzeln, Zittern der Lippe; außerdem eine gemeinschaftliche Meisterleistung seitens Robbie und Curtis. Es braucht einiges Format, letztlich zuzugestehen: Daphne ist – ungeachtet allen unbenommenen Versagens, der stark beschränkt um den eigenen Nabel kreisenden Aufmerksamkeit oder zum schönsten Schmuck ernannten Dollarzeichen – auch ein Mensch. Irgendwo im Inneren, bestens versteckt, voller Angst davor, ans Tageslicht zu treten.
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...