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Goodnight Nobody

Trip durch die Welt der Schlaflosen

GOODNIGHT NOBODY ist eine Reise durch die Nacht, in der die Zeit manchmal stehenzubleiben scheint. Ein Gefühl, das alle Protagonisten dieses wunderbar fotografierten Dokumentarfilms kennen, denn sie haben eins gemeinsam: Sie können nicht schlafen. Und die Nacht kann sehr lang werden, wenn man sie ganz alleine durchwacht. Die Schweizer Filmemacherin Jaqueline Zünd hat mehrere Jahre lang in aller Welt recherchiert, bis sie vier Schlaflose gefunden hatte, die unterschiedlicher nicht sein könnten: ein glücklicher Nachtwächter aus Burkina Faso, eine punkige junge Frau aus Arizona, die nachts ziellos über den Highway fährt, eine junge chinesische Krankenschwester, die der Ehrgeiz nicht mehr schlafen läßt, und Fedir, ein gesetzter Ukrainer, der sich schon seit 20 Jahren als medizinisches Phänomen bestaunen läßt und davon langsam genug hat.

Trotzdem läßt er Zünd in sein Haus und in sein Leben, denn ihr geht es eben nicht darum, die Geschichten ihrer Protagonisten medizinisch zu erforschen oder dabei zu ertappen, wie sie mal für eine Sekunde einnicken. Ihr geht es darum, einen Zustand zu beschreiben, in dem das Normalste der Welt – der Schlaf – fehlt, ein Land zu vermessen, das keine klaren Grenzen kennt. Sie zieht dabei alle filmischen Register, gestaltet mit Hilfe des Kameramannes Nikolai von Graevenitz schwebende, grünlich-blaue Nachträume zwischen Tag und Traum und versetzt einen genau in den Zustand, in den man gerät, wenn einem vor Müdigkeit schon die Sehschärfe verlorengeht, und man nicht mehr zwischen Tag und Traum unterscheiden kann. Mindestens ebenso stark wie die Bilder wirkt die großartige Musikkulisse, die Marcel Vaid mit reduzierten Akustiksets entstehen läßt, die eine Stimmung heraufbeschwören, die immer kurz vorm Umkippen zu sein scheint.

Manchmal kippt der Film allerdings genau in die falsche Richtung, denn nicht alle Gespräche mit den vier unterschiedlichen Insomniacs geben so viel her, daß das Material tatsächlich über knapp 80 Minuten trägt. So kann die perfekt inszenierte tagtraumartige audiovisuelle Gestaltung bei Zuschauern, die nicht an Schlaflosigkeit leiden, durchaus dazu führen, ab und zu den Faden zu verlieren und in einen klitzekleinen Sekundenschlaf zu verfallen. Das ist angesichts der formal-filmischen Qualitäten schade, denn GOODNIGHT NOBODY ist wirklich ein ästhetischer Genuß und sollte vielleicht am besten mit einem guten Kaffee genossen werden, damit er seine hypnotischen Qualitäten nicht voll entfalten kann.

CH 2010, 77 min
Verleih: Columbus Film

Genre: Dokumentation

Stab:
Regie: Jacqueline Zünd
Drehbuch: Jacqueline Zünd

Kinostart: 17.03.11

[ Luc-Carolin Ziemann ] Carolin hat ein großes Faible für Dokumentarfilme, liebt aber auch gut gespielte, untergründige Independents und ins Surreale tendierende Geschichten, Kurzfilme und intensive Kammerspiele. Schwer haben es historische Kostümschinken, Actionfilme, Thriller und Liebeskomödien ... aber einen Versuch ist ihr (fast) jeder Film wert.