Angenommen, Sie lernen in fünf Jahren eine interessante Frau kennen. Plötzlich gesteht Sie Ihnen den etwas ungewöhnlichen Wohnsitz ihrer vergangenen Jahre: Gotteszell, Gefängnis für Frauen. Könnte es sein, daß Ihre Mundwinkel einen Halbkreis nach unten beschwören, sich eine Schublade wie von selbst öffnet?
Die junge Frau heißt Nicole. Ein sanfter, nachdenklicher Mensch mit verschreckten Augen. Als sie damals den Benzinkanister aus der Garage holte, wußte sie, ihre Freunde würde sie verlieren, ja, alles was noch wichtig schien im Leben. Aber "der Drang, ein Ende zu setzen war stärker". Dafür, daß sie sich sofort der Polizei stellte, niemand verletzt wurde und einzig das Statussymbol ihres Vaters nicht mehr chromglänzte, bekam Nicole viereinhalb Jahre ohne Bewährung. Nein, sie ist keine Meinhof. Sie würde keiner Frau raten, dasselbe zu tun. Auch jetzt wird sie es schaffen, sich für alles die Schuld zu geben. Genau wie in ihrer Kindheit, in der sie von der Mutter körperlich mißhandelt, von Vater und Bruder sexuell mißbraucht wurde. Morgens und abends...
Nicole ist eine der porträtierten Bewohne-rinnen von Gotteszell. Während ihrer behutsamen Recherche stieß die Regisseurin auf Junkies, Prostituierte, Mörderinnen, nicht aber auf seelenlose Monster. Vielmehr lernte sie ein bigottes Phänomen kennen, das sich deutsche Rechtssprechung nennt: Das Gros der gefällten Urteile erscheint fragwürdig. Jede zweite Insassin weiß eine ähnliche Leidensgeschichte hinter sich wie Nicole.
Da es der Filmemacherin um Vertrauen und Ausgewogenheit zu tun war, schenkte sie (zu) vielen Stimmen ihr Gehör. Auch sie keine zornige Meinhof, eher eine stille Verfechterin von Würde. Das ist heutzutage viel. Solange jedes siebente Mädchen eine Mißbrauchserfahrung machen muß und dies leider fast immer im trauten Familienkreis, solange das Kind in der Beweisnot ist und nie der Erwachsene, muß man sich nicht wundern, wenn Frauen später in Depressionen und Drogen fliehen und mitunter "rot" sehen.
D 2001, 104 min
Verleih: Basis
Genre: Dokumentation
Regie: Helga Reidemeister
Kinostart: 24.05.01
[ Angela Rändel ]