Ein alter Mann steht im Nachthemd auf der Straße. Er weiß nicht, wo er ist und wie er hierher kommt. So stellt Carlos Saura den Begründer der modernen Malerei, Francisco de Goya, vor. Und dann beginnt ein wilder, hypnotischer Trip durch seine Träume und Erinnerungen: der schwierige Aufstieg zum spanischen Hofmaler, die kleinen Feigheiten, seine große Liebe, die Herzogin von Alba, die Krankheit, die ihm das Gehör nahm, Krieg und Tod.
Saura beweist eindrucksvoll, daß Biographie ohne staubtrockene Faktenversessenheit auskommt. Er nähert sich dem bewunderten und verehrten Malergenius nicht über Lebensdaten oder historische Akribie, sondern über sein Werk. Und wie er dessen Eigenheiten für seine eigene Bildersprache nutzt, zeugt von Mut und Können. Barocke Fülle und beängstigende Kargheit verstärken sich und heben sich gegenseitig auf. Jede Szene besitzt eine eigene Farbigkeit, in der sich, wie in Goyas Malerei, Stimmungen und Emotionen ausdrücken. Ebenso gekonnt verwendet Saura theaterästhetische Mittel.
Stilisierte, artifizielle Kulissen schaffen unwirkliche Räume, die in ihrer Gestaltung schon für sich allein ein Augenschmaus sind: transparente Wände, hinter denen sich das Geschehen ins Unendliche fortzusetzen scheint, grenzenlose Flure und Gänge, die den Blick ins Bodenlose fallen lassen. Daß dieser Reichtum an visuellen Besonderheiten nicht bloße Spielerei bleibt, ist Francisco Rabal zu verdanken, der mit seinem markanten Spiel schon die Filme von Antonioni, Buñuel, Chabrol und Almodóvar prägte. Sein Charisma trägt den Film und hält die assoziative Folge der Bilder zusammen. Neben ihm sind es vor allem die Schauspieler der umjubelten Theatertruppe LA FURA DELS BAUS, die Sauras Künstlerporträt so faszinierend machen.
Originaltitel: GOYA EN BURDEOS
Spanien/I 1999, 102 min
Verleih: Arthaus
Genre: Biographie
Darsteller: Francisco Rabal, Dafne Fernández, José Coronado
Regie: Carlos Saura
Kinostart: 26.10.00
[ Sylvia Görke ]