Originaltitel: GRAIN
Türkei/D/F/S 2017, 127 min
Verleih: Piffl
Genre: Experimentalfilm, Drama, Science Fiction
Darsteller: Jean-Marc Barr, Ermin Bravo, Grigoriy Dobrygin, Cristina Flutur
Regie: Semih Kaplanoglu
Kinostart: 03.05.18
Nicht allzu oft ereilt einen das Glück, auf einen Film zu treffen, der künstlerisch in einer Weise eigenständig ist, daß er sich der Einsortierung in Kategorien verweigert. GRAIN vom türkischen Regisseur Semih Kaplanoglu ist ein Werk, das einen sowohl staunend als auch grübelnd zurückläßt. Seine hypnotischen Schwarz-Weiß-Bilder gehen noch lange nach Filmende im Kopf herum. Besonders brennt sich das graubärtig-zerfurchte, feinsinnige Gesicht von Hauptdarsteller Jean-Marc Barr ein.
Er verkörpert den Genetiker Erol Erin, der in einer unbestimmten Zukunft für einen mächtigen Konzern synthetisches Saatgut entwickelt. Durch Umweltzerstörung sind weite Teile der Erde in Ödland verwandelt. Die noch fruchtbaren Gebiete werden streng bewacht, und in die zugehörigen Städte werden nur Menschen mit bestimmten genetischen Merkmalen gelassen. Eine magnetische Mauer trennt die Privilegierten vom versprengten Rest Menschheit, der zusehen muß, wo er bleibt. Als das künstlich hergestellte Saatgut degeneriert, macht sich Erin auf die Suche nach einem im Ödland verschollenen Kollegen, der genau dies vorhergesagt hatte.
Zwar greift Kaplanoglu auf Science-Fiction-Elemente zurück, aber im Grunde sind alle Phänomene, die er thematisiert, ganz gegenwärtig. Er kombiniert sie nur neu. Gentechnik, Umweltzerstörung, Totalitarismus, Abschottung, Flüchtlinge, Drohnenangriffe, Konzernübermacht sind alles Probleme unserer Zeit. Von wenigen technischen Details abgesehen, sieht seine Zukunftswelt daher aus wie unsere Gegenwart – nur sehr viel trostloser. Beziehungsweise kondensiert er die vorhandene Trostlosigkeit unserer Welt, indem er all diese Themen in einen Film packt. In GRAIN sind die Straßen menschenleer, die Landschaften unfruchtbar. Das Schwarz-Weiß verstärkt den Effekt von Ödnis und Verfremdung. Gleichzeitig wohnt diesen traumhaft komponierten Bildern eine traurige Schönheit inne.
Je weiter Erins Reise voranschreitet, umso mehr führt sie ins Innere. Es geht Kaplanoglu um nichts weniger als die großen kosmischen Zusammenhänge, die sich mit Worten nur unzureichend erfassen lassen. GRAIN ist eine filmische Vision zwischen Himmel und Erde. Das ist in jedem Fall ein ungewöhnlicher Ansatz. Allein um herauszufinden, ob man ihn spirituell-anregend oder esoterisch-verschwurbelt findet, lohnt sich schon der Gang ins Kino.
[ Dörthe Gromes ]