Dan Dunne ist ein ziemlich cooler Typ. Er trägt stylishe Second-Hand-Klamotten, hat einen Wochenbart mit der dazu passenden Fliegersonnenbrille. Er verbringt seine freie Zeit in Bars und auf Partys, wo ihm die interessierten Blicke der Weiblichkeit nur so entgegen fliegen. Und er nimmt Heroin. Dan lebt das gefährlich-traurige Leben eines Rockstars - und ist doch High-School-Lehrer. Die Kollision von Dans Privat- und Berufsleben ist nur eine Frage der Zeit.
Wie viel Regisseur und Autor Ryan Fleck aus dieser Grundkonstellation macht, ist erstaunlich. Er kreiert einen Sog um seine Hauptfigur, aus einer scheinbar voraussehbaren Entwicklung wird eine spannende Erkundung eines labilen Charakters. Dan unterrichtet seine Fächer Sport und Geschichte meist entgegen den Vorgaben der Direktion. Den Lehrplan befolgt er, wenn überhaupt, sporadisch. Statt Daten geschichtlicher Ereignisse zu pauken, philosophiert er mit seinen hauptsächlich schwarzen Schülern über die Bedeutung von Geschichte für jeden einzelnen. Einer seiner weiblichen Schützlinge hängt besonders aufmerksam an den Lippen des jungen Pädagogen: die smarte Drey. Als Tochter einer überarbeiteten alleinerziehenden Mutter und Schwester eines einsitzenden Bruders muß sie für sich selbst sorgen. Die disziplinierte Art der 13jährigen schafft einen spannenden Kontrast zu Dan, dem Teenager im Erwachsenenkörper. Drey entdeckt zufällig Dans Sucht und wird zum Bewahrer seines Geheimnisses. Eine ungewöhnliche Freundschaft entsteht zwischen Erzieher und Zögling, wobei die Rollen hier stetig wechseln. Als Drey ein zu enges Verhältnis zu einem Freund ihres Bruders, einem Dealer, entwickelt, will Dan einschreiten, und es kommt zu einem grotesken Duell: Dealer und Junkie kämpfen um die Rolle als Vaterfigur für Drey.
Obwohl er sehr wohl mit Stereotypen arbeitet, schafft es Fleck, Klischees weitestgehend zu vermeiden und Verurteilungen jeglicher Art zu umgehen. Ryan Gosling, Hollywoods nächster Superstar, trägt den Film mit seiner gelungenen Darstellung des kaputten Charmeurs. Wer immer schon mal wissen wollte, wie ein Heroinjunkie mit Idealen aussieht, muß HALF NELSON sehen. Zudem ein jeder, der amerikanisches Independentkino in Hochform mag. Und eigentlich sowieso jeder.
Originaltitel: HALF NELSON
USA 2006, 106 min
Verleih: Arsenal
Genre: Drama
Darsteller: Ryan Gosling, Shareeka Epps, Jeff Lima, Nathan Corbett, Tyra, Kwao-Vovo
Stab:
Regie: Ryan Fleck
Drehbuch: Ryan Fleck
Kinostart: 27.03.08
[ Paul Salisbury ] Paul mag vor allem Filme, die von einem Genre ausgehen und bei etwas Neuem ankommen. Dabei steht er vor allem auf Gangsterfilme, Western, Satire und Thriller, gern aus der Hand von Billy Wilder, Sam Peckinpah, Steven Soderbergh, Jim Jarmusch, den Coen-Brüdern oder Paul Thomas Anderson. Zu Pauls All-Time-Favs gehören DIE GLORREICHEN SIEBEN, TAXI DRIVER, ASPHALT COWBOY, SUNSET BOULEVARD, POINT BLANK ...