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Halt auf freier Strecke

Konfrontation und Katharsis – ein Film über das Sterben und auf das Leben

Heikel, eine Empfehlung so zu formulieren: HALT AUF FREIER STRECKE, den neuen Film von Andreas Dresen, will man nicht sehen. Alles sperrt sich dagegen. Mit Unlust, Widerwillen gar, Angst vielleicht. Und doch: Man sollte diesen Film unbedingt anschauen. Fast möchte man schreiben: Man muß sich diesen Film anschauen. Ihn sich zumuten. Durch ihn hindurchgehen.

Frank und Simone haben sich mit ihren zwei Kindern den Traum vom eigenen Häuschen am Rande der Stadt erfüllt. Doch das Glück dort ist von kurzer Dauer. Bei Frank wird ein Hirntumor diagnostiziert. Irreparabel. Tödlich. Frank bleibt nicht mehr viel Zeit. Das Haus mit dem schönen Blick auf die alten Bäume, der Ort, der einen Neubeginn versprach, wird der Ort eines Abschieds. Hier, wo ein neues Leben warten sollte, wird diese Familie mit dem Sterben konfrontiert.

Und eine Konfrontation ist auch Dresens Film. Eine Konfrontation mit dem so gern verdrängten Umstand, daß das Leben eine filigrane Sache ist, die verdammt schnell zerbricht. Eine Konfrontation mit unserer Sterblichkeit – und mit dem Sterben als solchem, dem Sterben an einer Krankheit. Dem „Sterben vor der Zeit“; jener Zeit, auf die man meint, ein Recht zu haben. Dem Sterben als Vorgang eines krankheitsbedingten Siechtums. Lang scheint dieses im Schmerz, im Versagen des Körpers, des Geistes auch – und doch vergeht zugleich so furchtbar schnell dieser Rest an Lebenszeit. Und das kräftezehrend, qualvoll, unerbittlich. Und dann doch auch – und deshalb sollte, muß man diesen Film sehen – erlösend tröstlich. Kathartisch im wahrsten Sinne.

Mit HALT AUF FREIER STRECKE gelang Dresen ein radikaler Film, der sich um Radikalität nicht kümmert. Ein Film zumal, der das größte Tabu unserer westlichen Kultur, das Sterbenmüssen und das Sterben als Prozeß, thematisiert. Nicht als großmäuligen Tabubruch, sondern als Passionsgeschichte ganz „normaler“ Menschen. HALT AUF FREIER STRECKE kombiniert dabei seine Schonungslosigkeit mit einer Zärtlichkeit, die herzzerreißend ist. Ein Film, der beobachtet, aber eben nicht aus der Distanz. Der auch mal in dunkelster Pein ein befreiendes galliges Lachen ermöglicht.

Und der einen entläßt mit schwankenden Beinen, beklommen und befreit. Vor allem aber mit einer Lust am und auf das Leben, die gerade dadurch entspringt, daß dieser Film zeigt, was zu diesem Leben auch gehört: das Sterben.

D 2011, 95 min
FSK 6
Verleih: Pandora

Genre: Drama

Darsteller: Steffi Kühnert, Milan Peschel, Talisa Lili Lemke, Mika Nilson Seidel

Regie: Andreas Dresen

Kinostart: 17.11.11

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.