Der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer und der ehemalige Grünen-Chef Alexander Van der Bellen lagen fast gleichauf mit 50 Prozent. Die AfD räumt bei deutschen Landtagswahlen ab, und alle Das-wird-man-doch-noch-sagen-dürfen-Deutschen marschieren weiter Seite an Seite mit „echten“ Nazis durch die Straßen. Da kommt doch Andreas Grubers Romanadaption von Elisabeth Escher gerade rechtzeitig in die Kinos. Ein Film, angesiedelt in den 60er Jahren im ober-österreichischen Wels, eine Geschichte über die „unverschämte Bruchlosigkeit in den politischen Haltungen Vieler“, so Gruber.
Nur nicht auffallen ist das oberste Gebot der Familie Berger, die sich offensichtlich in ihrer frömmelnden Piefigkeit nicht von den restlichen Gottesdienstgängern mit Hang zu regelmäßiger Hausordnung und Observation der Nachbarschaft unterscheidet. Doch irgendwas ist anders, das spürt Hanna (beeindruckend dargeboten von Nike Seitz) genau. Es sind sie und ihre Familie, die von allen genau beobachtet werden. Die Religionslehrerin diffamiert sie ständig vor der ganzen Klasse, und der pensionierte Bankdirektor Öllinger bedenkt ihre Mutter Katharina mit fast übergrifflicher Höflichkeit. Doch die duckt sich weg, schweigt und entzieht sich, wann immer es zu einem Konflikt kommt. Nur die erblindete Großmutter Ruth versucht, ihre Tochter und ihren Schwiegersohn dazu zu bewegen, das lähmende Schweigen zu brechen, das über dem Abendbrottisch in penibel aufgeräumter Wohnung schwebt. Sie ist es auch, die Hanna ermuntert, den Weg der Rebellion zu wählen.
Mit Hingabe zum historischen Detail und einem guten Gespür für zwischenmenschliche Stimmungen rollt Gruber das Geheimnis der Bergers auf: die jüdische Herkunft der Großmutter, die Tragödie ihrer Erblindung und die sexuellen Übergriffe auf Katharina. Das Gefühl, wie es ist, mit seinen Feinden unter einem Dach zu leben. Und damit unter der Glocke eines scheinheiligen Schweigens, das nur durch bösartiges Zischen und Tuscheln, verbale Ausrutscher und scheele Blicke durchbrochen wird.
Nur wenn die ehemaligen Kameraden ganz unter sich und in nostalgischer Laune sind, kommt die ganze braune Soße so richtig zum Brodeln. Deshalb wird Grubers Film gerade heute dringend benötigt. Auch wenn vielerorts die Aufarbeitung der Nazizeit und die Geschichte des Holocaust als abschließend behandelt wahrgenommen werden. Es ist leider eine Never Ending Story.
D/Österreich 2016, 120 min
FSK 12
Verleih: Alpenrepublik
Genre: Drama
Darsteller: Hannelore Elsner, Franziska Weisz, Nike Seitz
Regie: Andreas Gruber
Kinostart: 09.06.16
[ Susanne Kim ] Susanne mag Filme, in denen nicht viel passiert, man aber trotzdem durch Beobachten alles erfahren kann. Zum Beispiel GREY GARDENS von den Maysles-Brüdern: Mutter Edith und Tochter Edie leben in einem zugewucherten Haus auf Long Island, dazu unzählige Katzen und ein jugendlicher Hausfreund. Edies exzentrische Performances werden Susanne als Bild immer im Kopf bleiben ...