Originaltitel: HAPINESU

J/D 2016, 90 min
FSK 16
Verleih: REM

Genre: Thriller, Mystery, Drama

Darsteller: Masatoshi Nagase, Hiroki Suzuki, Erika Okuda, ArisaNakajima

Regie: Sabu

Kinostart: 30.11.17

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Happiness

Der Rächer der Entglückten

Hat Marcel Proust eigentlich Mundharmonika gespielt? Wenn ja, könnte er zu dieser Eingangsszene Ennio Morricones berühmte Todesmelodie vorgetragen haben. Aber wie kommen Assoziationen an die Mutter aller Italowestern und den Vater des literarisch ausgefeilten, janusköpfigen Memorierens in einen japanischen Film? Ganz einfach: auf den Schwingen der unwidersprochenen Behauptung. Genau wie Herr Kanzaki und seine Kiste, die Regisseur Sabu in die japanische Provinz stellt wie ein Denkmal, dem seine Bestimmung abhanden gekommen ist. Was der stille Mann mit den traurigen Augen hier will? Offensichtlich das Glück zurückbringen, das die lethargischen Einwohner auf dem Weg ins gesellschaftliche Funktionieren eingebüßt haben. Das Wunderding, mit dem das gelingen soll, liegt – richtig – in der Kiste.

Dabei handelt es sich um eine Art Helm, der aus dem Requisitenschatz früher „Star Trek“-Folgen stammen könnte, und dessen Wirkweise Erkenntnisse der Akupunktmassage mit der Mechanik vorsintflutlicher Registrierkassen und Alfred Jarrys Konzept der Pataphysik verbindet. Herr Kanzaki setzt das unwuchtige Unikum ungefragt auf die Häupter betrübter Frauen und gebeugter Männer, drückt auf die Knöpfe, dreht an ihnen und holt Bilder verschütteter Glücksmomente aus diesen Leben hervor: ein gewonnenes Baseballspiel, die Geburt eines Kindes, Erinnerungssequenzen aus der Jugendzeit, die von Lachen und Tanzen erfüllt war. Und während man noch ungläubig den Kopf schüttelt über die Freudentränen, die aus freudlosen Gesichtern laufen, über den lächerlichen Apparat und das bühnenhafte Pathos, mit dem diese Leute aus ihrer Versteinerung erwachen, ist man längst gefangen in einem düsteren Thriller voller tragischer Verhängnisse.

Sabu gehört zu jenen Fallenstellern des japanischen Autorenkinos, dem der weltoffene Cineast mit Hingabe auf den Leim geht. Skrupelloser als in anderen Kinokulturen werden hier Genre-Schubladen gezogen, in denen Unterwäsche neben Abendkleid, gekräuselter Tiefsinn neben gebügelten Oberflächen liegt. Wer in diesen Film greift, bekommt manchmal Blutiges, manchmal minimalistisch Ausgekochtes zu fassen, gelegentlich auch Gesellschaftsanalytisches oder Traumdeuterisches. Immer aber Widersprüche, gefühlte und gesehene, die sich mit ordnendem Denken und sortierendem Schauen allein nicht auflösen lassen. Doch wer will das schon?

[ Sylvia Görke ]