Ein Ehepaar spricht per Skype mit seinem erwachsenen Kind. Per se kein außergewöhnlicher und unbedingt auf der Leinwand zu verfolgender Vorgang, würden nicht draußen Gefechtsgeräusche das Gespräch untermalen, wäre das Haus nicht von Scharfschützen umstellt, reichten die Kartoffeln für mehr als sieben verbleibende Tage, hätte keine Kugel den Vater bloß um Haaresbreite verfehlt. Herrschte nicht Krieg in Syrien. Die Eltern eingeschlossen, zweifelnd, viele Familien haben bei der Flucht bereits Leib und Leben riskiert. Soll man ebenfalls gehen? Oder bleiben, hoffen, beten?
Fliehen hieße Aufgeben der Heimat, enger gesehen Verlassen des eigenen Hauses, oft über lange Jahre hinweg mühevoll erbaut, an dessen Seele man glaubt. Woraus diese Doku ihre Brennpunkte zieht: Heimatlosigkeit, Sicherheitsverlust, notwendiges Zurückgreifen auf Erinnerungen. All das trägt logischerweise keinen Schmuck, entsprechend karg fangen die Aufnahmen das Wesentliche ein, manchmal dient gar ein Handy als Kamera. Nervosität, Anspannung, Streß schwelen omnipräsent, während wir das inmitten verlassener Ruinen aufgeschlagene Lager umherirrender Vertriebener besuchen, besagte Eltern beim praktisch täglichen Neufinden von Würde und Kampfgeist beobachten, einem jungen Mann begegnen, der nach langer Zeit plant, gen Syrien zurückzukehren, er hält es derart entwurzelt einfach kaum mehr aus.
Entwurzelt, entrissen, enteignet – das sämtliche zu Wort kommende Personen verbindende Gefühl kennt einige Begriffe. Es führt aber auch zur gleichzeitig krassesten wie schönsten, poetischsten Aussage der gesamten 112 Minuten: „Es ist nicht leicht, alles hinter sich zu lassen und zur Feder im Wind zu werden.“ Auslieferung an externe Einflüsse, gepackt in ein sprachliches Bild, dessen geistiger Nachhall immense Wirkung zeigt. Daß ungeachtet jeder Entbehrung, unaufgebauscht berichteten Schreckens bisweilen leises, fast schüchternes, dann wieder herzliches Lächeln auf Gesichtern liegt, ringt Respekt vor der letztlich doch noch aufgebrachten Kraft ab. Und allein schon der bislang vermutlich als gänzlich normal empfundene Umstand, (nicht nur) diesen Film in den stabilen, geschützten vier Wänden eines Kinosaals sehen und anschließend in aller Selbstverständlichkeit nach Hause zurückkehren zu können, sollte eben jenem Heimweg des zur Empathie befähigten Menschen grundlegende Denkanstöße zur Seite stellen.
Originaltitel: MASKOON
Syrien 2014, 112 min
Verleih: Mec Film
Genre: Dokumentation, Schicksal
Regie: Liwaa Yazji
Kinostart: 01.12.16
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...