Was war das doch für ein exotisch buntes, charmant skurriles Fleckchen Erde, das uns vor noch gar nicht allzu langer Zeit in Wim Wenders BUENA VISTA SOCIAL CLUB als Hintergrund zum Porträt der greisen Musikertruppe präsentiert wurde. Sicher, auch der Verfall der Stadt Havanna kommt in Wenders’ Film vor, aber doch eben eher als Randnotiz. Florian Borchmeyer widmet sich nun gänzlich dem Phänomen des "Gebäudesterbens" in Kubas Hauptstadt und zeigt anhand von bemerkenswerten Schicksalen, wie die Menschen Havannas mit den Ruinen in ihrem Alltag umgehen.
Borchmeyer begleitet fünf Bewohner der karibischen Metropole, die nicht nur mit, sondern in den ruinösen Gebäuden Havannas leben müssen. Klempner Totico hat sein Zuhause, das riesige Arbos-Gebäude im Stadtzentrum, zu seiner Lebensaufgabe gemacht. Doch seine vereinzelten Reparaturen können gegen den schnell voranschreitenden Verfall des alten Mietshauses nichts ausrichten. Der Obdachlose Reinaldo bewohnt die Ruine eines einst angesehenen Theaters und meint, noch den Geist der großen Auftritte aus der Vergangenheit spüren zu können. Misleidys, eine junge Frau mit Drogenvergangenheit, verließ den goldenen Käfig ihrer Ehe mit einem Millionär mittellos und lebt nun in den vom Einsturz bedrohten Resten eines ehemaligen Luxushotels. Der Bauer Nicanor, Nachkomme einer Großgrundbesitzer-Familie, erzählt im einstigen Herrenhaus am Stadtrand von der Enteignung des Familienbesitzes. Eine interessante Philosophie des Verfalls wird vom Schriftsteller Antonio Ponte formuliert. Daß seine Texte in Kuba verboten sind, zermürbt den Dichter, der sein Leben ohne ein Podium für seine Kunst in Ruinen liegen sieht.
Mit viel Gespür für wirkungsvolle Augenblicke folgt die Dokumentation ihren Protagonisten. Die Geschichten und Ansichten der Ruinenbewohner, zusammen mit den beeindruckenden Aufnahmen von der gezeichneten "Perle der Karibik", schaffen poetische Momente, die hängen bleiben. Das Stadtbild als Seismograph für den Verfall eines politischen Systems, diese Seite Havannas wird einem schonungslos offenbart. Wer’s romantisierter mag, für den gibt’s ja noch BUENA VISTA SOCIAL CLUB.
D/Kuba 2006, 86 min
Verleih: Raros Media
Genre: Dokumentation
Darsteller: Antonio Rosé Ponte, Totico Fernandez, Misleidys, Nicanor del Campo, Reinaldo Lottis
Regie: Florian Borchmeyer
Kinostart: 26.04.07
[ Paul Salisbury ] Paul mag vor allem Filme, die von einem Genre ausgehen und bei etwas Neuem ankommen. Dabei steht er vor allem auf Gangsterfilme, Western, Satire und Thriller, gern aus der Hand von Billy Wilder, Sam Peckinpah, Steven Soderbergh, Jim Jarmusch, den Coen-Brüdern oder Paul Thomas Anderson. Zu Pauls All-Time-Favs gehören DIE GLORREICHEN SIEBEN, TAXI DRIVER, ASPHALT COWBOY, SUNSET BOULEVARD, POINT BLANK ...