Benito Zambrano überrascht nach SOLAS mit einem Film, der es ganz offensichtlich darauf anlegt, daß man sich im Kino wohl fühlt, und daß man deshalb vielleicht sogar aufstehen will. Während SOLAS in der Erinnerung ein leises, introvertiertes Porträt bleibt, nimmt sich HAVANNA BLUES des pulsierenden Lebens in der kubanischen Metropole an, und wieder einmal ist es die Musik, um die sich alles dreht. Einer möglicherweise aufkommenden Angst, es könne sich um eine weitere Dokumentation handeln, die noch an der Glorie um den BUENA VISTA SOCIAL CLUB festhält, kann vorgebeugt werden! HAVANNA BLUES ist Musik- und Spielfilm gleichermaßen, und er porträtiert die junge Szene. Punks, Hip-Hopper, Rapper und Rocker neben Cha-Cha-Cha, Guajira oder Mambo, Jam-Sessions, Underground-Gigs und das Drängen auf die großen Bühnen - der Regisseur holt hier alles vor die Kamera und erzählt eine kleine Geschichte von einem großen Traum, dem musikalischen Durchbruch. Die Freunde Ruy und Tito haben gerade ihre Demo-CD fertig, ein zeitraubendes Unterfangen. Beide sind total abgebrannt, und die Absage ihres ersten öffentlichen Auftritts droht, als urplötzlich Talentescouts eines spanischen Labels auftauchen - Ruy und Tito sehen die Chance ihres Lebens gekommen ...
Zambrano entdeckt eine völlig neue Musikszene Kubas, eine inoffizielle, die ohne Subventionen auskommt. Er porträtiert junge Menschen, die für die Musik leben, nicht von ihr. Die Geschichte von Ruy und Tito zeigt ein zerrissenes Land, indem die Menschen jedoch etwas Großes teilen: eine Art des Umgangs miteinander, eine Lebensform, die anderen Kulturen fehlt. Zambrano verflicht aktuelle Themen wie Mangelwirtschaft und Emigration mit solchen, die ewig sind, für die Grenzen keine Gültigkeit haben. Lebensnah und ernst ist deren Umsetzung, aber auch ironisch und vor allem unverkrampft.
Die den Alltag einer Protagonistin bestimmende Anfangszeit der beliebten Telenovela ist einer der ironischen Momente, die den Film durchziehen. Die Einsturzgefahr eines Konzertsaales dagegen verweist auf eines der größten Probleme der kubanischen Hauptstadt, den maroden Zustand eines Großteils der Gebäude. Wenn Tempo und Musik von HAVANNA BLUES Sie aus den Polstern reißen wollen, dann brauchen Sie hier keine Angst zu haben, daß die Decke einstürzt. Aber bitte bleiben Sie sitzen, Sie sind im Kino!
Originaltitel: HABANA BLUES
Spanien/Kuba/F 2005, 110 min
Verleih: Arsenal
Genre: Musikfilm, Drama
Darsteller: Alberto Joel Garcia Osorio, Roberto Sanmartín
Regie: Benito Zambrano
Kinostart: 30.03.06
[ Jane Wegewitz ] Für Jane ist das Kino ein Ort der Ideen, ein Haus der Filmkunst, die in „Licht-Schrift“ von solchen schreibt. Früh lehrten sie dies Arbeiten von Georges Méliès, Friedrich W. Murnau, Marcel Duchamp und Man Ray, Henri-Georges Clouzot, Jean-Luc Godard, Sidney Lumet, Andrei A. Tarkowski, Ingmar Bergman, Sergio Leone, Rainer W. Fassbinder, Margarethe v. Trotta, Aki Kaurismäki und Helke Misselwitz. Letzte nachhaltige Kinoerlebnisse verdankt Jane Gus Van Sant, Jim Jarmusch, Jeff Nichols, Ulrich Seidl, James Benning, Béla Tarr, Volker Koepp, Hubert Sauper, Nikolaus Geyrhalter, Thierry Michel, Christian Petzold und Kim Ki-duk.