Obwohl sein Name irgendwie mythisch klingt, ist Helbra weit davon entfernt, ein magischer Ort zu sein. Das kleine Dorf nahe Halle bietet den üblichen Mix aus Idylle und Muff: spießige Reihenhäuschen, ungefähr zwei größere Straßen, einander seit der Geburt kennende Menschen. Und natürlich die allgegenwärtigen Probleme – mit Schließung des Hüttenwerkes wurde quasi die gesamte regionale Einwohnerschaft zur Arbeitslosigkeit verdammt. Kein gutes Klima für Jugendliche, um sich zu entfalten.
Lehrstellen sind Mangelware, Spaß ebenfalls. So fährt man also oft nach Halle, feiert und lernt irgendwann Drogen als vermeintlichen Weg aus der Misere kennen. Eine bittere Erfahrung, die unter anderem Michael, Markus und Mathias machen mußten. Offen sprechen sie nun vor der Videokamera über Erlebtes, Ängste und Entzugserscheinungen, zerbrochene Beziehungen, verlorene Freunde, ständige Lügen. Doch auch ihre Familien kommen zu Wort. Mathias’ Mutter gesteht, wie sie ihren Sohn in völliger Hilflosigkeit aus dem Haus warf – und dann wieder aufnahm, weil sie ihn im Park traf, mit einem trockenen Brötchen in der Hand. Ob sie angesichts dieser Erinnerung aus Scham, Wut oder Schmerz weint? Das Team hakt nicht nach und urteilt nicht.
Die Mutter von Michael dagegen konstatiert, daß man lernen müsse, dem eigenen Kind zu mißtrauen. Sie spricht fast ungläubig, als wäre ihr noch immer ein Rätsel, wie sie das tun konnte. Und: "Ich habe es durchgehalten – aber wahrscheinlich nur, weil ich meinen Mann hatte." Während dieser Worte lächelt sie wie ein frisch verliebtes Mädchen.
So entsteht peu à peu das so bewegende wie aufwühlende Porträt dreier Abhängiger und ihrer Angehörigen, zum Glück ohne erhobenen Zeigefinger oder moralische Anwandlungen. HELBRA muß den Zuschauer nicht mit der Nase auf die Gefährlichkeit von Drogen stoßen – und obwohl der Film die gesellschaftlichen Zustände als ein auslösendes Moment identifiziert, macht er es sich nicht so leicht, darin den ultimativen Grund für die Sucht zu finden. Vielmehr wird hier ein Geflecht aus unzähligen individuellen Motivationen und Hemmnissen als Ursache erkannt. Zum Beispiel, wenn Michael über seine Familie sinniert: "Warum kann ich diese Liebe nicht einfach annehmen?"
D 2003, 74 min
Verleih: 42Film
Genre: Dokumentation
Stab:
Regie: Mario Schneider
Drehbuch: Mario Schneider
Produktion: Mario Schneider
Kinostart: 17.02.05
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...