D 2021, 217 min
FSK 0
Verleih: Grandfilm

Genre: Dokumentation

Kinostart: 16.09.21

3 Bewertungen

Herr Bachmann und seine Klasse

Eine Passionsgeschichte

Über drei Stunden lang dem Schulalltag einer sechsten Klasse in der hessischen Provinz folgen? Dank des empathischen Blickes, mit dem die Regisseurin Maria Speth die Mädchen und Jungen und ihren Klassenlehrer ein ganzes Schuljahr lang begleitet, vergeht die Zeit wie im Fluge. Herr Bachmann sitzt mit einem ausgewaschenen AC/DC-T-Shirt und Häkelmützchen an seinem übervollen Pult und diskutiert mit den Kindern, warum es fair ist, daß Mattia, Stefi und Hasan den Englischvokabeltest wiederholen dürfen. Sie sind erst seit einem Jahr in Deutschland, und für sie ist eine zweite Fremdsprache ein echte Herausforderung. Jamie meldet sich, er findet das „scheiße“, und Bachmann hört ihm zu. Er ermuntert zum Nachdenken, tröstet, sorgt für eine ruhige Lernatmosphäre, und wenn die Luft ganz raus ist, setzen sich alle an ihre Instrumente, die im ganzen Klassenraum verteilt sind, und musizieren gemeinsam. Es ist ein bedeutendes Jahr für alle: Für die Kinder entscheidet sich die weitere Schullaufbahn nach der Grundschule, Bachmann wird in Pension gehen.

Speth zeichnet mit ihrer genauen Beobachtung das Porträt eines Lehrers aus Passion und gleichsam eine Utopie von Schulbildung, in der jeder Schüler eine echte Chance bekommt. Auch von einer Diskussionskultur auf Augenhöhe, obwohl es Reibungen gibt. Diese läßt Speth nicht aus, auch verklärt sie Bachmann nicht zum Helden. Ihm wird es durchaus manchmal zu viel, und er trifft den falschen Ton. Aber er kann es zugeben. Behutsam entfaltet die Filmemacherin mit ihrem Kameramann Reinhold Vorschneider fast beiläufig in Sequenzen, die sich Zeit lassen, auf den Gesichtern ruhen bleiben, biographische Eckpunkte des Pädagogen und seiner aufgeweckten Schülerschaft. Und erzählt damit auch deutsche Migrationsgeschichte am Beispiel des Industriestandortes Stadtallendorf.

Geprägt ist diese von Zwangsarbeit im Zweiten Weltkrieg und der Gastarbeiterwelle in den 60er und 70er Jahren, einer Zeit, in der man dringend Arbeitskräfte für die Eisengießerei und die Schokoladenfabrik brauchte. Somit ist der Mikrokosmos des Bachmannschen Klassenverbandes auch ein Spiegelbild deutscher Zeitgeschichte, den Speth in ihrem unprätentiösen Meisterwerk, das schon auf vielen Festivals begeisterte, zugewandt erzählt.

[ Susanne Kim ] Susanne mag Filme, in denen nicht viel passiert, man aber trotzdem durch Beobachten alles erfahren kann. Zum Beispiel GREY GARDENS von den Maysles-Brüdern: Mutter Edith und Tochter Edie leben in einem zugewucherten Haus auf Long Island, dazu unzählige Katzen und ein jugendlicher Hausfreund. Edies exzentrische Performances werden Susanne als Bild immer im Kopf bleiben ...