Der Lehmann ist ein ganz seltsamer Typ. So einer, der den ganzen Tag nüscht macht, abends aber dennoch total fertig ist. Gut, ein bißchen malocht er in einer Kneipe, aber ansonsten gehört alles, was mit schwerer Arbeit, flinker Bewegung und wohliger Körperertüchtigung zu tun hat, eher nicht in Lehmanns Kosmos. Seine Uhr tickt einen Schlag langsamer, das Motto seines Lebens könnte sein: Erstmal schauen und dann warten wir’s ab.
Doch halt, plötzlich geht ein unbequemes Raunen durch die Charlottenburger Luft: Lehmanns Eltern kündigen sich an, seinem besten Freund Karl geht’s nicht so dolle, und dann geht ihm auch noch die begnadete Kloßköchin Katrin nicht mehr aus dem Sinn. Als dann die Mauer fällt, droht das Faß überzulaufen. Da hilft nur eins: erst einmal ein Bierchen picheln ...
Um es vorwegzunehmen: eigentlich geht es in der Adaption des Sven-Regener-Bestsellers um nichts! Und dennoch dabei um vieles, wenn nicht um alles, denn Leander Haußmann versteht es irrsinnig gut, die warme Luft, die Lehmann und sein Kumpel Karl fabrizieren, im komischsten, im durchgeknalltesten und irgendwie irrsten Kinochaos zu entladen, was der deutsche Film je hervorgebracht hat. Einige werden ob der hohlen Nüsse, die Lehmann und Co. knacken müssen, das Kino verlassen. Andere wiederum haben Spaß wie Bolle. Natürlich will man mit solchen Tränen im Leben nix zu tun bekommen. Im Gegenteil: so ein bißchen anschauen, beobachten und darüber lachen, das genügt. Haußmann beschert einem damit das schönste Zooerlebnis seit Kindergedenken.
Außerdem stellt er seiner saufenden, schwafelnden und faulen Bande ein Skurrilitätenkabinett zur Seite, das man nur bauchhaltend goutieren kann: die Leder-Uschi, der Kristallreiner und schließlich der Jürgen aus Eberswalde.
Fast beiläufig (und dadurch offenbart sich das tatsächlich Große an HERR LEHMANN) gelingt es Haußmann, diese West-Berliner Urangst, resultierend aus dem Inseldasein, aus dieser mauerseligen Abgeschlossenheit, zu umreißen, die sich nur grob als blanke Furcht vor etwas Kaltem, Komischem, Aggressivem, Verschlingendem und schwer Verständlichem wie dieser DDR da vor den Toren beschreiben läßt. Daß dabei auch Grenzdebiles, Waghalsiges und herrlich Sinnfreies von der Leinwand kommt, ist keineswegs Zeitverschwendung. Vielmehr kommt es einer wahrhaftigen Bewußtseinserweiterung gleich. Der Haußmann, der hat was Gutes getan.
D 2003, 97 min
FSK 12
Verleih: DCM
Genre: Literaturverfilmung, Komödie, Schräg
Darsteller: Christian Ullmen, Detlev Buck, Karsten Speck
Regie: Leander Haußmann
Kinostart: 02.10.03
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.