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Herzen

Ein echter Resnais - pointiert, scharfzüngig, altersweise

Wenn alte Männer ins Fabulieren geraten, wird es bisweilen schwermütig und gern auch mal schlüpfrig. Bei Resnais nun, diesem unermüdlichen réalisateur, in seinem neuen und zudem noch recht entzückenden Film wird es ganz oft schwermütig und gottlob nur ganz selten schlüpfrig. Resnais ist ein zurückgenommener Erzähler, vielmehr ein spectateur, der sich ganz auf die Hintergründigkeit seiner Figuren und die Fähigkeiten ihrer Darsteller verlassen darf. Er ist einer dieser ganz großen Schauspielerregisseure, einer, der sich an die Fersen heftet und den Betrachter sofort vergessen läßt, daß es sich hier um Gespieltes, gar um Vorgetäuschtes handelt. Das klappt immer bei ihm, auch wenn - wie hier - Kulisse und Affekt theatralisch anmuten.

Resnais schleicht in die Befindlichkeiten des Maklers Thierry, der ach so verständnisvoll für Nicole und Dan eine Wohnung sucht und doch von Beginn an spürt, daß sie niemals dauerhaft ein gemeinsames Heim finden sollten - und sich dennoch zurückhält. Das gelingt ihm bei seiner Kollegin Charlotte hingegen kaum. Los ging es, als diese ihm eine auf Video aufgezeichnete TV-Sendung mitgibt, die Thierry so interessiert wie der Wasserstand der Seine. Spannend wird es, als er nach dem Ende der Sendung und des weißen Rauschens plötzlich die strippende Charlotte auf dem Monitor erkennt. Ihm wird warm, ihm wird heiß, es geschieht um ihn, er drängt sich auf, und diese flammende Geilheit führt zum kurzzeitigen Zerwürfnis, auch zwischen ihm und seiner Schwester Gaelle, mit der er in seltsamer Zweisamkeit zusammenlebt. Doch auch Gaelles Leben ist in Schieflage, panischer als sie kann man keinen Mann suchen. Und so gerät sie irgendwann an Dan. Aber diese Begegnung kann nicht von Erfolg gekrönt sein, findet das erste Rendezvous doch in einer Kaschemme in der Rue Oberkampf statt ...

Resnais hält noch mehr Begegnungen parat, die er auch mit ganz wundervollen Blicken, scharfzüngigen und pointierten Dialogen auskleidet. Als Meister des Wortwitzes bestand er schon immer, das weiß jeder spätestens seit Resnais’ SMOKING/NO SMOKING. Hier läßt er wie beiläufig Gaelle zu Dan sagen, daß sie sich lieber an belebten Orten mit Herren treffe: "Man will ja nicht ermordet werden!"

Resnais, der Altersweise, der sich langsam Verabschiedende, was trotz seiner 85 Jahre keineswegs mit Schläfrigkeit gleich- und abzutun ist, versteht in diesem reigenartigen Film sehr viel von der großen Dunkelheit, von den Unterschieden zwischen Mann und Frau, auch davon, wie beide Einsamkeit definieren. Er - ganz unsentimental und dennoch nicht mit der Kälte eines Rechenstabphilosophen - hat das Leben auf einen anhaltenden Zustand reduziert: die Suche. Hier eben nach Liebe, Pflege, Neuem, Arbeit, Aphrodisiaka. Und manchmal ganz banal nach einer Wohnung.

Originaltitel: COEURS

F 2006, 114 min
Verleih: Arsenal

Genre: Tragikomödie

Darsteller: Sabine Azéma, Pierre Arditi, Laura Morante, André Dussollier, Isabelle Carré, Lambert Wilson

Regie: Alain Resnais

Kinostart: 29.03.07

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.