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Herzensbrecher

Er liebt mich, er liebt mich nicht

Nach I KILLED MY MOTHER also der zweite Streich von Kanadas Wunderkind Xavier Dolan. Wieder spielt er, diesmal 20jährig, auch eine Hauptrolle. Und wieder fällt die Personalunion aus Buch, Regie und Darstellung brillant aus. Der Ton ändert sich zwar im Vergleich zum explosiven Vorgänger über eine Mutter-Sohn-Haßliebe, bei dem autobiographische Züge unverkennbar waren. Es wird nun etwas lässiger, abstrakter und komödiantischer. Doch auch das spricht für Dolan, der den richtigen Stil zum Thema sucht und findet.

Das Vorwort zum Film stammt von Alfred de Musset und bringt es auf den Punkt: „Nichts ist wahrer als die Unvernunft der Liebe.“ Die Liebe um der Liebe willen, müßte man hinzufügen. Der Originaltitel LES AMOURS IMAGINAIRES sagt es bereits. Da ist man schnell bei Molières eingebildetem Kranken. Eingebildete Liebende sind Francis und Mary. Sie sind beste Freunde, und sie konkurrieren um die Gunst von Nick. Dieser Nick ist ein verwöhnter Snob. Seine einzige Qualität: Er sieht aus wie ein Adonis, mit blonden Engelslocken und antikem Gesicht, die Verkörperung einer Idee. Nick ist von Anfang an unerreichbar. Und er spielt mit seinen Bewunderern.

In oft nur kurzen, plötzlich abreißenden Szenen nehmen wir einerseits an Francis’ und Marys Bemühungen teil zu gefallen und andererseits an ihrer gespielten Indifferenz dem jeweils anderen gegenüber. Zusammen ergibt das einen episodischen Leckerbissen, einen luftig leichten Konversationsreigen um eine potentielle Dreiecksbeziehung, deren Realisierung sich allerdings immer weiter hinauszögert. Inzwischen spielt der Film mit dem Licht, mit schwankenden Stimmungen, mit der passenden Kleidung zum Verliebtsein, den nervösen Gesten, dem Pulsieren der Hoffnung in jedem Blick. Nur in diesem phantasiegespeisten Kontext erhalten Sätze wie „Braune Augen muß man intellektuell kompensieren können.“ oder „Marshmallows essen ist wie Striptease.“ ihre Wahrhaftigkeit.

Daß Dolan, wie er behauptet, kein Cinéphiler ist, ist schwer zu glauben. Die Verweise drängen sich auf. Abwechselnd denkt man an Eric Rohmer, Wong Kar-wai oder Woody Allen. An Letzteren erinnert auch der Rahmen: In Interviewsituationen erzählen weitere Herzensgebrochene von ihren Liebeswirren. Falls Dolan wirklich nur aus seiner naiven Intutition schöpft, ist zu hoffen, daß diese Geliebte ihm treu bleibt.

Originaltitel: LES AMOURS IMAGINAIRES

Kanada 2010, 95 min
Verleih: Kool

Genre: Liebe, Tragikomödie

Darsteller: Monia Chokri, Niels Schneider, Xavier Dolan

Regie: Xavier Dolan

Kinostart: 07.07.11

[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...