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Heute bin ich Samba

Ziemlich beste Blende

Friseurinnen, Zahnärzte und Physiotherapeuten kümmern sich im besten Falle nicht nur trefflich um Haupthaar, Beißer und Muskelstränge, auch ihre seismographische Funktion ist nicht zu unterschätzen. So war vor drei Jahren auf Stühlen und Liegen jener Berufsgruppen von begeisterten Kinobesuchen zu erfahren. Man sei „in diesem französischen Film mit dem Schwarzen und dem Rollstuhlfahrer“ gewesen. Selbiges vollzog sich für „diesen französischen Film mit dem Vater und den Töchtern.“ ZIEMLICH BESTE FREUNDE und MONSIEUR CLAUDE UND SEINE TÖCHTER waren wirklich beim Bürger angekommen. Hinten etwas länger, den Mund mal ganz weit aufmachen und – anspannen, loslassen!

Éric Toledano und Olivier Nakache sind sich beim fünften gemeinsamen Werk in Form wie Stoffauswahl treu geblieben. Aufstrebenden Nackenhaaren beim Lesen der Synopsis folgt das Staunen vor der Leinwand. Das Genre der Human- und Gesellschaftskomödie beherrschen die beiden bewundernswert sicher. Sie behandeln relevante Themen und befreien sie von erdrückender Schwere, ohne daß ihre leichte Hand gleich Leichtfertigkeit bedeuten würde. So hatte Omar Sys Figur des Pflegers in ZIEMLICH BESTE FREUNDE immer auch Konturen großen Ernstes, was sich nun verstärkt, da Sy in HEUTE BIN ICH SAMBA einen seit zehn Jahren illegal in Frankreich lebenden Senegalesen spielt. Allein durch die Anlage seines neuen Charakters, die Zwischentöne und die weiter aufgezogene Blende in der Handlung verbieten sich eilig ausgesprochene Vorwürfe, Toledano/Nakache hätten schlichtweg ihr auch kommerziell einträgliches FREUNDE-Konzept nur variiert, gar kopiert.

Statt daß er eine Festanstellung als Koch bekommt, findet sich Samba im Abschiebesegment eines Pariser Flughafens wieder. Schon als er Alice – Charlotte Gainsbourg wunderbar – diesen frühen Blick gibt, ist klar, daß den charmanten Illegalen und die derangierte Offizielle bald mehr verbinden wird als das distanzierte Verhältnis zwischen Migrant und Sozialarbeiterin. Alice ist freiwillig dabei, der Wohlstandsknick Burnout hat sie aus ihrer eigentlichen Karriere kippen lassen. Samba indes steht für Abertausende, die sich so etwas wie Burnout nicht erst leisten können. Sie rackern in Randgebieten, wo man sie auf eigene Weise „integriert.“ Dort, wo man sie braucht, aber am besten nicht sieht, in Hilfs- und Gelegenheitsjobs, schwarz beschäftigt, mindestens mausgrau. Samba geht es auch um Würde, als er glaubt, die nahende Anstellung verliehe ihm zugleich einen besseren sozialen Status. Behörden ticken anders.

Die Szene, in der Samba die offizielle Ausweisung erhält, ist stark durch ihren satirischen Biß. Den verträgt der Film genauso wie Romanze, Kumpanei, den doppelten Schluß und weichen Humor, die zärtliche Liebe zu den Protagonisten, den Wunsch, sanft aus Schemen und Botschaften zu gleiten oder gar nicht erst hinein. So betrügt Samba ohne Zögern seinen Freund mit dessen großer Liebe. Helden ticken anders.

Asyl, Migration und Systemverwerfung brauchen hartes, anklagendes, unverblümtes Kino. Daß HEUTE BIN ICH SAMBA auch im Unterhaltungssegment immer wieder den Kern touchiert und einer in Frankreich schon gesehenen und auch hier zu erwartenden stattlichen Zahl Zuschauern – darunter hoffentlich wieder Friseurin, Zahnarzt und Physiotherapeut – ein Gefühl von unsäglicher Getriebenheit, aber auch entfesselnder Lebenslust vermitteln kann, ist sein hoch anzurechnendes Plus.

Originaltitel: SAMBA

F 2014, 120 min
FSK 6
Verleih: Senator

Genre: Tragikomödie

Darsteller: Omar Sy, Charlotte Gainsbourg, Tahar Rahim, Izia Higelin, Isaka Sawadago

Regie: Olivier Nakache, Éric Toledano

Kinostart: 26.02.15

[ Andreas Körner ]