Ein Film über alternde Hippies, die im Zuge der Bewußtseinserweiterung in Indien hängen geblieben sind - das klingt nach siffigen Dread-locks, sendungsbewußtem Aussteigertum und Sozialromantik. Tatsächlich findet man in HIPPIE MASALA auch von alldem etwas, doch wird das Heile-Welt-G’schmäckle nie zu durchdringend. Das liegt vor allem an den sieben außergewöhnlichen Charakteren, denen die Filmemacher während des mehr als sechsmonatigen Drehs in Indien begegneten.
Da ist zum Beispiel Meera, eine 43jährige Belgierin, die seit Jahrzehnten als Einsiedlerin in Zentralindien lebt. Sie schlägt sich mit Almosen von Touristen durch, für die sie nicht selten zum Inbegriff des Aussteigertums avanciert. Bei den Einheimischen ruft die alleinlebende Westlerin, die sich ohne Guru auf die Suche nach dem Sinn des Lebens macht, noch immer Irritation und Abwehr hervor. Der Sizilianer Cesare scheint dagegen völlig assimiliert zu sein. Er lebt seit dreißig Jahren als Yogi in einem kleinen Ashram, und außer seinem exzessiven Espresso-Konsum unterscheidet ihn nichts von seinen Glaubensbrüdern - er hat sich auch äußerlich in einen indischen Eremiten verwandelt. Wie sie lebt er von wenig mehr als Haschisch und dem, was der Urwald zu geben hat und wird auch von den Einheimischen als Guru verehrt. Ähnlich wie bei den meisten Aussteigern spielten die Drogen bei ihm eine wichtige Rolle bei der Entscheidung, in Indien seßhaft zu werden. Was ihn in Italien ins Gefängnis gebracht hätte, verschafft ihm nun in Indien sozialen Ansehen und Prestige.
Hanspeter, ein äußerst grantiger Schweizer zieht auch gerne mal ein Pfeifchen durch, hält aber ansonsten die guten Schweizer Werte hoch - ohne daß er das selbst zugeben würde. Doch der schloßähnliche Bauernhof mit den goldenen Wasserhähnen, den er gerade mitten im Himalaja baut, spricht eine deutliche Sprache.
Die Stärke von HIPPIE MASALA liegt darin, daß der Film sich seinen Protagonisten unbefangen nähert und dem Zuschauer das Werten überläßt. Weder die Aussteiger noch die indische Gesellschaft werden idealisiert, statt dessen wird deutlich, wie routiniert beide Seiten sich ihrer Vorurteile inzwischen bedienen - eine unbewußte Zweckgemeinschaft zwischen Alteingesessenen und Zuwanderern, die nicht nur in Indien funktioniert.
CH 2006, 93 min
Verleih: Kool
Genre: Dokumentation
Stab:
Regie: Ulrich Grossenbacher, Damaris Lüthi
Drehbuch: Ulrich Grossenbacher, Damaris Lüthi
Kinostart: 30.08.07
[ Luc-Carolin Ziemann ] Carolin hat ein großes Faible für Dokumentarfilme, liebt aber auch gut gespielte, untergründige Independents und ins Surreale tendierende Geschichten, Kurzfilme und intensive Kammerspiele. Schwer haben es historische Kostümschinken, Actionfilme, Thriller und Liebeskomödien ... aber einen Versuch ist ihr (fast) jeder Film wert.