Der 22jährige Simon sieht seine Situation negativ: „Ich lebe in einem Irrenhaus.“ Deutliche Worte, aber nicht dem üblichen jugendlichen Keine-Ahnung-wohin-Weltschmerz geschuldet, sondern der Tatsache, daß Vater Hans, fähiger Architekt, kürzlich erst die Satellitenanlage der Nachbarn abgerissen hat und dann die Axt schwingend auf die reparierenden Handwerker losging. Was durch Angst davor, ausspioniert zu werden, kaum mehr erklärbar ist. Und tatsächlich folgt die niederschmetternde Diagnose: Schizophrenie.
Eine Ausgangssituation, aus der sich nachfolgend kein betroffen wisperndes Krankheitsdrama formt, sondern eine Studie im innerfamiliären Umgang plus Leben mit den breit gefächerten Wirkungen: Muß Simon eine Vererbung auf ihn fürchten? Kann Hans’ Frau Elli am einst versicherten Schwur „in guten wie in schlechten Zeiten“ festhalten? Wie reagiert Simons kleine Schwester auf einen plötzlich so veränderten Papa? Und was mag die Umwelt offen oder hinter verschämt vorgehaltener Hand flüstern, primär Verena, zu der Simon gerade zarte emotionale Bande knüpft?
Fragen, welche der Film zur Konfrontation nutzt, es geht weniger um das zu Sehende, vielmehr sind individuelles Entscheiden sowie Weiterdenken gefragt. Krasse Szenen inklusive: Darf Elli ihrem seine Probleme negierenden, ergo die nötigen Medikamente schlicht verweigernden Gatten selbige schlicht ins Essen mischen – wie einem Haustier? Geht es in Ordnung, jemanden einfach abzuholen, einzuweisen, fast wegzusperren? Leichte Antworten werden zum Glück verweigert, eigene Meinungsbildung steht auf der Agenda. Manchmal rutscht der Handlung zwar dennoch ihr Fokus aus den Augen, sie neigt dann zum Verzetteln oder Holpern, aber das gleichen ohne Ausnahme starke Darsteller wieder aus, allen voran Tobias „Hans“ Moretti. Wie er spricht, ausrastet, läuft, darf man als profunde darstellerische Einfühlung betrachten.
Zwischen Hilflosigkeit (auch der Medizin), Selbstfindung sowie steter Zuspitzung liegt irgendwo die vielseitig lesbare Botschaft vom Akzeptieren und Loslassen verborgen, auf Entdeckung harrend. Für ein Langfilmdebüt beachtlich inszeniert, zumal immer wenigstens ansatzweise hoffnungsvoll, manchmal gar erfrischend schräg, um den schwer arbeitenden Kopf punktuell freizupusten. Wo findet man sonst schon Drehbuchzeilen wie jene: „Entschuldigung, der Hund hat die Tür geöffnet“ ...
D 2013, 96 min
FSK 12
Verleih: Movienet
Genre: Drama, Erwachsenwerden
Darsteller: Tobias Moretti, Stephanie Japp, Jonas Nay, Hanna Plaß
Stab:
Regie: Christian Bach
Drehbuch: Christian Bach
Kinostart: 09.10.14
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...