Weihnachtszeit. Da muß man einfach auch mal ein Auge zudrücken. Fest der Liebe, klar. Also: Diese Kritik ist eine mit zugedrücktem Auge verfaßte. Los geht’s: Gespannt durfte man ja sein, was herauskommt, wenn ein Regisseur wie Bent Hamer (KITCHEN STORIES, O’HORTEN) sich der Weihnachtsgeschichte annimmt. Natürlich wird die erst einmal in die Gegenwart verlagert. Was völlig okay ist, da zeitlose Botschaft und so. Und ebenfalls bietet sich das Ganze als Ensemblefresko an, welches erst episodenhaft aufglimmt und sich dann zum Geschichtenreigen, zum, wenn man so will, Weihnachtskranz formt. Dramaturgisch ist das sehr geschickt, wenn Hamer mit einer ausgesprochen spannenden Szene im Bürgerkriegsjugoslawien eröffnet: Ein kleiner Junge macht sich heimlich auf den Weg, seiner Familie einen Weihnachtsbaum zu beschaffen und befindet sich schon bald im Fadenkreuz eines Tschetnik. Doch bevor der Schuß fällt, setzt Hamer den Schnitt.
Vom Balkan nach Skandinavien. Man lernt einen Arzt kennen, dessen Ehe ob unerfülltem Kinderwunsch in der Krise steckt. Dann einen obdachlosen Alkoholiker, der seine Jugendliebe wiedertrifft. Ein verzweifelter Vater heckt einen grotesken Plan aus, um seine von ihm getrennt lebenden Kinder sehen zu können. Zwei Teenager, weißer Junge, schwarzes Mädchen, beobachten von einem Dach mit Teleskop den winterklaren Sternenhimmel. Einer Frau zerbricht die Hoffnung, daß ihr verheirateter Liebhaber dieses Weihnachten endlich mal mit ihr statt seiner Gattin verbringt. Und in einer Hütte im Wald verstecken sich zwei illegale Einwanderer. Ein junges Paar aus dem Kosovo. Sie hochschwanger.
Ja, auch zu Weihnachten dreht sich die Welt gern weiter wie gehabt. Tod und Leid, Verzweiflung und Einsamkeit, davon erzählt HOME FOR CHRISTMAS. Doch wie im Finale das Nordlicht in Breitwand hoffnungsvoll und etwas arg symbolisch die dunkle Nacht erleuchtet, manifestiert sich als harter Kern auch in Hamers Film die Botschaft von Liebe und Mitgefühl. Manchmal ist das berührend, manchmal amüsant, manchmal todtraurig. Manchmal aber auch einfach nur zu durchschaubar kalkuliert auf der direkten Zielgeraden zum emotionalen Effekt.
Aber wie versprochen – das kritische Auge bleibt zugedrückt: Im saisonbedingten Endjahres-Kinozuckerguß ist der Film einer der genießbareren. Und wie das mit dem Jungen und den Scharfschützen ausgeht, das hat schon was.
Originaltitel: HJEM TIL JUL
Norwegen 2010, 79 min
FSK 12
Verleih: Pandora
Genre: Episodenfilm, Tragikomödie
Darsteller: Fridjov Saheim, Trond Fausa Aurvag
Regie: Bent Hamer
Kinostart: 02.12.10
[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.