Nouadhibou ist der Ort, der vom afrikanischen Kontinent aus gesehen, Europa am nächsten kommt. Er liegt im westafrikanischen Mauritanien und wird von der einen Seite durch den Ozean und auf der anderen Seite durch die Wüste begrenzt. Tausende kommen hierher, um ihrem Traum von einem besseren Leben ganz nah zu sein. Sie warten auf ein Schlepperboot, eine so genannte Piroge, die sie, so Gott will, sicher über das Meer tragen und ans Festland der Kanarischen Inseln bringen soll. Keiner weiß, ob er in einer der besseren, da großen, oder in einer gefährlichen, da kleinen, Pirogen sitzen wird. Wenn der Anruf kommt, geht es los, da gibt es keine Fragen. Und die Wenigsten wissen, wie sie überhaupt das Geld für die strapaziöse Überfahrt aufbringen sollen. Sie sind gestrandet, ähnlich der mächtigen, mittlerweile verrosteten Schiffe, die wie träge Wale an der Küste ruhen und die Kameramann Jacko Van T Hof in beeindruckenden Bildern immer wieder festhält.
Die Regisseurin Bettina Haasen konzentriert sich in ihrem Film jedoch nicht auf die waghalsigen Fluchtversuche, sondern porträtiert den Transit-Ort des Wartens. In mehreren Puzzleteilen trägt sie eine Stimmung zusammen, die zwischen Aufbruch, Melancholie und Stillstand schwankt. Genau wie die Menschen, die sie trifft, und denen sie ein sehr genau arrangiertes filmisches Denkmal setzt. Stolze, schöne und doch einsame Frauen und Männer sitzen in ihren kleinen parzellenartigen Zimmern vor der Kamera und berichten von ihren Träumen. Und von der Zeit, die verrinnt. Lamiya aus Guinea ist 20 Jahre und will unbedingt Profifußballer werden. Frauen interessieren ihn nicht. Aber den Fußball will er mitnehmen in sein neues Leben – er sei seine Frau, sagt er. Chichi aus Nigeria ist eine der wenigen alleinstehenden Frauen in der Stadt. Alle denken, du bist käuflich, erzählt sie fast trotzig.
Keiner der Protagonisten will außerdem seine Familie enttäuschen, die oft, wie Chichis Vater, ihr Vermögen in die Flucht der Kinder gesteckt hat. Ohne Geld in den Taschen ist es für die meisten unmöglich, in ihre Heimat zurückzugehen. Es ist eine Frage der Ehre.
Doch was Haasens Porträt dieses Nicht-Ortes vor allem zurückläßt, ist das ungeheure Privileg, dessen sich die meisten Europäer gar nicht mehr bewußt sind: Wir sind eine bevorteilte Minderheit, die einfach selbstverständlich in ein Verkehrsmittel freier Wahl steigen kann. Wir können reisen. Der Rest lebt in engen Grenzen.
D 2008, 85 min
Verleih: Neue Visionen
Genre: Dokumentation
Regie: Bettina Haasen
Kinostart: 20.08.09
[ Susanne Schulz ]