Die Steidl Druckerei & Verlag GmbH & Co. OHG ist eine echte Achtundsechzigerin. Wie viele hat sie den Aufbruchsgeist ihres magischen Gründungsjahres, freilich mit kleinen Reibungsverlusten, in gediegenere Zeiten hinübergerettet. In den verräumten Göttinger Regalen voller Druckfahnen und projektbezogener Schmierzettel meint man ihn zu spüren, manchmal. Bis heute verlegt Steidl auch gewerkschaftliches Schriftgut, gelegentlich. Zum Kerngeschäft aber gehören inzwischen das Œuvre von Günter Grass, die Kataloge von Chanel sowie Fotobücher für namhafte Fotografen. Und zwar auf ausgesuchten Papieren, unter ölbasierten Lacken, die den Duft des Materials nicht überdecken, wie Herr Steidl erklärt. Doch das nur am Rande.
Dieser Film hat viele Ränder. Zum Beispiel in Katar, wo ein Sproß des Hauses Al-Thani eine geschuberte Gesamtausgabe seines noch jungen fotografischen Werkes plant. In Los Angeles, wo sich Ed Ruscha zwischen Bleisatz und Offset entscheiden soll. Bei Robert Frank, der noch ein Foto heraussuchen muß. Am Pariser Laufsteg von Karl Lagerfeld. Am Kaffeetisch von Robert Adams. Unumstrittenes Zentrum aber ist das Gesamtkunstwerk Gerhard Steidl, ein rastloser Zeitgenosse im Dauerlauf zwischen Niedersachsen und weiter Welt, der fruchtlose Diskussionen über Farbwerte schon mal mit einem Kraftausdruck beendet. „Fuck The Midtones!“, gibt er dem schmunzelnden Joel Sternfeld mit auf den künstlerischen Weg.
Wetzel und Adolph erwischen ihren umtriebigen Gegenstand auf dem Gipfel seines Erfolgs. Und das erweist sich als Fluch und Segen zugleich. Denn der eloquente Herr Steidl ist gewohnt, die Szene zu beherrschen. Sollte er sich doch einmal ins Off verlaufen, wird er von seinem verlassenen Arbeitskittel vertreten. Unversehens geraten die freundlichen Herrschaften vom Film zu frag- und klaglosen Inspizienten der Steidl-Bühne. Es war wohl nicht zu erwarten, daß einer, der noch im Kaffeesatz Spuren von Cyan und Magenta zu unterscheiden vermag, eine Kamera übersieht. Also verlegen sich Wetzel und Adolph aufs Mitschwingen.
Bild, Ton und Montage schmiegen sich nahtlos in den Rhythmus der Arbeitsreisen und Hausbesuche, nehmen sich Zeit, wo welche ist, und eilen weiter, wenn Steidl die Geduld verliert. Belohnt wird ihr Entgegenkommen mit einer kurzweiligen Soloperformance, die durchaus den Amüsiernerv trifft. So geschehen bei DOK Leipzig 2010, das im Überschwang eine Goldene Taube aufsteigen ließ.
D 2010, 88 min
Verleih: if... productions
Genre: Dokumentation
Stab:
Regie: Gereon Wetzel, Jörg Adolph
Kamera: Gereon Wetzel, Jörg Adolph
Kinostart: 09.12.10
[ Sylvia Görke ]