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Howl

Worte entflammen zum Bilderdelirium

„I saw the best minds of my generation destroyed by madness / starving hysterical naked / dragging themselves through the negro streets at dawn / looking for an angry fix …“ So hebt er an, Allen Ginsbergs (1926–1997) großer Gesang, der als Geheul, als „Howl“ in die Literaturgeschichte einging. Wobei dieses Wort „Literaturgeschichte“ unangemessen ist. Weil es dieses wüst mäandernde Poem zu begradigen sucht mit akademischen Parametern, weil es dieses Sprach-Halluzinogen zu entgiften trachtet. Einordnet und abheftet in einer Kladde des Vergangenen. Deckel zu und Ruhe im Karton.

Tatsächlich? Rob Epstein und Jeffrey Friedman machten den Deckel wieder auf. Und aus Ginsbergs Heulen wurde ein hymnischer Film auf selbiges. Ein Film, der etwas Irres versucht: nicht zu bebildern, sondern Sprache selbst Bild werden zu lassen. Nur zur Sicherheit noch einmal: Es geht hier um wirkliche Dichtung, um eine großartige, pathetische Rhapsodie, die wild, herrisch und ungebändigt im Gestus ist, wie selten eine. Aber wie zeigt man das, ohne es nur zu illustrieren?

Vor allem verzichte man erst einmal auf die erzählerische Beengung durch Chronologie. Wie das Gedicht springt der Film assoziativ zwischen verschiedenen Ebenen hin und her. Den roten Faden bildet dabei eine – die einzige – erzählerische Konvention: die des Gerichtsdramas. Darin auf der Anklagebank: Ginsbergs Gedicht. Der Vorwurf: Obszönität. Wie nun alles in HOWL basiert auch dieser Prozeß auf Tatsachen. Nur kontrastieren Epstein und Friedman diese Tatsachen immer wieder mit Ginsbergs Poesie. Und so explodieren geradezu die realistischen Gerichtsszenen, mithin die skizzenhaft biographischen aus Ginsbergs Leben, hin ins Artifizielle, hin zur Kunst. Da wechseln grobkörnige Schwarz-Weiß-Aufnahmen mit psychedelischen Comic-Strips, da peitschen schrille Bebop-Phrasen, hyperventiliert das Beatnik-Leben in all seiner Unruhe und Getriebenheit, und das puritanische Insistieren des Staatsanwaltes wird überlappt von Ginsbergs Stimme, die aus HOWL rezitiert.

Eine Stimme, die den Rausch, die Homosexualität besingt, die kaputte Welt und die großen Verheißungen der Liebe darin. Und die Worte entflammen zum Bilder-Delirium mit infernalischen Häuserschluchten, die Menschen fressen, mit einer Moderne als loderndem Moloch voller Sex, Gewalt, Verzweiflung. Und immer auch voller Liebe und Schönheit. So ist Poesie! Wunderbar, wie das klingt. Wunderbar, wie das aussieht.

Originaltitel: HOWL

USA 2010, 90 min
FSK 12
Verleih: Pandora

Genre: Biographie, Experimentalfilm, Drama

Darsteller: James Franco, Jeff Daniels, David Strathairn

Regie: Rob Epstein, Jeffrey Friedman

Kinostart: 06.01.11

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.