Der Titel macht Appetit. Nicht nur, weil er orientalisch duftet. Bevor er Film wurde, gehörte er nämlich zu einem Comicroman der Exil-Iranerin Marjane Satrapi, die 2007 mit ihrem animierten Erstling PERSEPOLIS ein echtes Statement auf die Leinwand schrieb – für die Ausdrucksmöglichkeiten und inhaltliche Wandlungsfähigkeit des Genres, nicht zuletzt für eine neue Lust am Politischen, die sich weder kindlichen Witz noch erwachsene Traurigkeit versagen wollte. Mit einigem Recht durfte man also hoffen, daß der Filmnachfolger, erneut in Ko-Regie mit Vincent Paronnaud, so oder so daran anknüpfen möge.
Wieder erzählt Satrapi von ihrer alten Heimat, wieder geht es um Erinnerung und Verlust, diesmal allerdings im Gewand eines Realfilms, der, merkwürdig genug, den animierten Vorgänger in Sachen Künstlichkeit um Längen schlägt. Denn mit Nasser Ali, einem Geigenvirtuosen im Teheran der späten 50er Jahre, hat sie eine Hauptfigur von eher sinnbildhaftem Charakter erfunden, die vor allem wegen ihres außerordentlichen Talents zum Unglücklichsein im Gedächtnis bleibt. Nach einer traurigen Kindheit, einem Heranwachsen voller Rückschläge, einer verlorenen Jugendliebe namens Irâne und einer Ehe wider Willen zerbricht ihm (die Gattin) auch noch sein Instrument. Das Maß ist voll, das Leben leer, und Nasser Ali beschließt zu sterben – nicht etwa wie andere durch einen beherzten Sprung, sondern, seinem gedämpften Temperament entsprechend, durch Hinlegen.
Um diesen liegenden, sich manchmal aufsetzenden und gleich wieder hinlegenden Mann wuchert nun ein verschnörkeltes Märchen, das, quasi in orientalischer Erzähltradition, vom Nachbarn auf den Onkel, vom Hundertsten ins Tausendste und vom Hölzchen aufs Stöckchen kommt. Nur eben nicht auf den Punkt. Stattdessen verlieren sich Satrapi, Paronnaud und ihr illustres, seltsam verkleidetes Ensemble im wilden Muster aus Burleske und Melodram, aus Gespenstergeschichten und fliegenden Teppichen, aus Opiumphantasien und Tagträumereien.
Sicher, zwischen den bemalten Kulissen und auffliegenden Animationsfragmenten leuchtet er metaphorisch, dieser untröstliche Weltschmerz des Exilanten, der schon Satrapis Alter Ego in PERSEPOLIS befallen hatte. Doch über all der stilistischen Gespreiztheit vergißt sich so leicht, wovon gleich noch mal die Rede war.
Originaltitel: POULET AUX PRUNES
F 2011, 91 min
Verleih: Prokino
Genre: Drama, Poesie
Darsteller: Mathieu Amalric, Maria de Medeiros, Golshifteh Farahani, Isabella Rossellini, Chiara Mastroianni, Jamel Debbouze
Stab:
Regie: Marjane Satrapi, Vincent Paronnaud
Drehbuch: Marjane Satrapi, Vincent Paronnaud
Kinostart: 05.01.12
[ Sylvia Görke ]