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Hundstage

Bedrückende Reise durch einen pervertierten Kosmos

Eine Gegend, in der man schon unter optischen Aspekten nicht leben kann. Peripherie einer großen Stadt, hier Wien, Siedlungen mit geklonten Reihenhäuserschlangen, Baumärkten, Freßmärkten, Gartenmärkten, Vorstadtbüros und allerlei mehr Horten der puren Hoffnungslosigkeit. Vegetieren allemal, aber leben keinesfalls.

Hier und während der Hochsommerzeit - den Hundstagen - sind Ulrich Seidls Geschichten um Schicksale, mit denen man garantiert nicht tauschen will, angesiedelt. Es geht um Charaktere, deren Selbstwertgefühl und -beherrschung mit der immer unerträglicheren Hitze gen Null sacken. Klaudia kommt von ihrem gewalttätigen Freund nicht weg. Ein cholerischer Fickschön, ein eifersüchtiger Balzidiot. Klaudia muß raus aus diesem Chaos zwischen glimmender Sanftheit und ausbrechender Gewalt. Dem Herrn Hruby steht der Schweiß auf der klatschnassen, fleischigen Stirn, die Krawatte wird dennoch nur zögerlich gelockert, denn Herr Hruby will verkaufen. Alarmanlagen sind seine Leidenschaft. Doch während dieser Glutzeit öffnen nur sehr wenige die Türen ihrer Katalog-häuser. Christine hat einen jungen Liebhaber, die Blüte der eigenen Jugend ist längst schon am Welken. Sie Lehrerin und er aus dem Schläger-Rotlicht-Milieu. Eines Abends bringt er noch einen Freund mit. Die Situation eskaliert, ein Schwall sexueller und zutiefst verächtlicher Demütigungen bricht aus.

In einem der Nachbarhäuser listet der korrekte Herr Walter die im Überfluß gehorteten Lebensmittel und notiert sich die kleinsten Abweichungen von Gewicht und Packungszustand säuberlich in ein eigens dafür angefertigtes Heft. Abends wird er im Gedenken an seine tote Frau den Goldenen Hochzeitstag feiern. Mit seiner Haushälterin, anfangs im Kleid der Verstorbenen ...

Zeitgleich streunt Anna durch das Land. Sie ist Bestlisten-Expertin und textet die Leute mit den häufigsten Krankheiten, den geläufigsten Todesursachen, den lustigsten Irgendwas zu ...

Regisseur Ulrich Seidl nimmt einem mit diesem apokalyptischen Abgesang auf die Normalität die Hoffnung auf Besserung. Er unterstreicht völlig unkommentiert, wie weit unten wir alle sind. Und Seidl hat recht. In Extremsituationen wird versagt, ausgenutzt, denunziert und schließlich weitergemacht. Das ist krank. Nach Seidls ernüchternder Reise durch diesen pervertierten Kosmos sehnt man sich förmlich nach der vorerst verhaßten Mittelmäßigkeit. Wenn man sich anschließend ob der niederschmetternden Traurigkeit gesammelt hat und die Frage stellt: War das nun ein guter Film?, dann kann es nur eine Antwort geben: ein großer Film. Vielleicht der größte deutschsprachige Film seit Fassbinders Tod überhaupt.

Österreich 2001, 121 min
FSK 16
Verleih: Alamode

Genre: Drama

Darsteller: Maria Hofstätter, Erich Finsches, René Wanko

Regie: Ulrich Seidl

Kinostart: 01.08.02

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.