Die kindliche Sicht des Verehrers erlaubt eine These wie diese, daß ein Film mit Tilda Swinton per se ein guter Film ist. Das ist ohne Zweifel schwärmerisch verklärt, einigen könnte man sich darauf, daß zahlreiche Filme mit der androgynen Mimin rätselhaft sind. So wie dieser. Wobei sich das keineswegs ausschließen muß. Denn I AM LOVE ist definitiv rätselhaft. Und gut. Auch und vor allem wegen Tilda Swinton.
Es ist ein Film, der seiner Zeit entrückt scheint, so geht er auch schon los – mit diesen antiken Titelschriften über ausgewaschenen Bildern eines winterlichen Mailands, das in dieser abgewetzten Grobkörnigkeit beim flüchtigen Betrachten eher wie ein Ceaucescu-Moloch als ein Hort des Wohlstands wirkt. Wir sind aber in Mailand, das aufsteigende Sonnenlicht in den ehrwürdigen Häuserfluren reicher Leute belegt dies, wir sind mittendrin bei einer dieser Mailänder Geldfamilien. Geschäftige Stimmung herrscht im alten Haus, altes, edel poliertes Geschirr wird aufgefahren, alte, edle, vom Mottenduft ausgebürstete Pelze werden aufgetragen. Alles scheint alt in diesem Haus der Familie Recchi – außer Emma. Obwohl sie dazugehört, geht von ihr etwas Fremdes aus, ist sie vom ersten Moment an in der Wahrnehmung des Betrachters Fixpunkt für etwas Neues. Liegt es an ihrer bescheidenen Herkunft aus russischen Landen, an dem selbstauferlegten Schweigen, obwohl sie die fremde Sprache beherrscht, liegt es an Swinton selbst? Sicher.
Diese Rätselhaftigkeit in Emma ist der Schlüssel des Films, in ihr manifestieren sich die Wünsche und Sehnsüchte einer Frau, die genug hat vom Leben an der Seite ihres erfolgreichen Gatten, der wiederum im Schatten des allmächtigen und sich langsam von der Recchi-Machtbühne, gebrettert aus einem finanziellen Potenzgehabe, verabschiedenden Patriarchen steht. Emma nimmt die Veränderungen an ihren Kindern wie ein Zaungast stumm, staunend und schmerzlich berührt wahr, ihr ureigener Kosmos erweitert sich um eine ganz neue Sphäre – die Liebe. Zu Antonio. Gut, daß dieser junge Mann Koch ist, denn das mag zwar ein etwas abgestandenes Bild sein, von wegen durch den Magen gehend und so, aber es ist auch ein stimmiges. Weil es um Sinne geht, um Sinnlichkeit, um unverstellte Emotionen – all das, was im Palazzo der Recchis vielleicht in den schweren Büchern in den alten, edlen Holzregalen beschrieben steht, was aber beim Staubwischen gleich mit aus den hohen Räumen gefeudelt wird.
Manchmal, so ehrlich muß man auch bei einem Tilda-Swinton-Film sein, hat man das Gefühl, daß Regisseur Luca Guadagnino kein rechtes Empfinden für das richtige Maß hat – von allem scheint doch zu viel. Von der Kälte im Familienclan, der sich einschleichenden Hitze in den Lenden der Liebenden und von den ganzen Selbstfindungsbildern Emmas – offener Mund, ständiges Staunen und dieses ewige Streicheln der Sträucher. Als ob sie noch nie draußen gewesen sei. Aber vielleicht ist es genau das! Und damit dann doch das richtige Maß einer Verwandlung: Ein Mehr an allem soll das Schlichte, das Pure und eben diesen Aufbruch zu einer ganz neuen Sinnlichkeit ausmalen.
Und wer nun denkt, daß der Film sich auf diesen gecremten Füßchen seinem sanften Ende nähert, der hat Guadagnino gehörig unterschätzt. Denn er dreht im letzten Drittel richtig auf, dann packt er zum Viscontischen Grundgewürz dieses Familien- und Liebesdramas noch eine gehörige Prise Shakespeare und Telenovela und löst in uns aus, was die Erziehung der Recchis oft vermieden hat – Empathie. Klingt erratisch und rätselhaft? Ist es auch, aber eben auch gut. Sie wissen schon, warum ...
Originaltitel: IO SONO L'AMORE
I 2009, 120 min
FSK 12
Verleih: MFA
Genre: Drama, Liebe
Darsteller: Tilda Swinton, Flavio Parenti, Edoardo Gabriellini, Alba Rohrwacher, Pippo Delbono, Maria Paiato
Regie: Luca Guadagnino
Kinostart: 28.10.10
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.