BLUTHOCHZEIT, CARMEN, FLAMENCO, schon lange ist Carlos Saura dem Tanz verfallen. Er bietet ihm die Grundlage für ein ganz spezifisches Filmgenre. Nun reduziert er seinen iberischen Tanzfilm auf dessen Grundelemente. IBERIA kommt vollkommen ohne Geschichte aus. Ein Film ohne Synchronisationsprobleme. Einfach 90 Minuten Musik und Tanz, Licht und Schatten.
Das Projekt ist eine Hommage an den 1909 gestorbenen spanischen Komponisten Isaac Albéniz, der die Besonderheiten der Regionen seines Landes in seine Musik einfließen ließ. Die Musiker und Tänzer, darunter einige von Spaniens Renommiertesten, bringen die Regionen in einer vielfältigen Revue auf die Bühne. Albéniz’ Musik sowie die folkloristischen Elemente des Tanzes dienen dabei als Arbeitsmaterial, sie erscheinen in klassischen und modernen Varianten, leicht verjazzt oder auf rhythmisches Klatschen reduziert, als Ballett oder auch als Musical-Szene, in der Gesten und Blicke nun doch eine universale Geschichte erzählen. Immer wieder ist es jedoch der Flamenco, der die Oberhand gewinnt. Wenn Tanz schön macht, so zeigt es sich am deutlichsten hier. Da muß der Tänzer kein Adonis sein, die Tänzerin keine Elfe und der Tanz kein artistisches Gelenkeauskugeln. In den spannungsreichsten Momenten braucht es nur noch eine kleine gesteppte Schrittfolge, um einen wohligen Schauer auszulösen. Und wenn sich schließlich sogar eine Träne über die Wange des Tänzers löst, so ist das keinesfalls eine Übertreibung, sondern schlichtweg die Folge.
Natürlich geht es Saura genau um diese Momente. Er will die Leidenschaft, das Pathos in Reinstform einfangen. Die Mitarbeit der Kamera verschweigt er nicht. Gleich zu Beginn wird die Bühne für die Inszenierung vorbereitet. Ein beeindruckender Schwenk über Bühne und Backstage-Bereich vermischt das konzentrierte Klavierspiel einer Pianistin mit den Aufbauarbeiten: Nicht nur einzelne Kulissenteile und warme Farben, auch Techniker und Filmteam sind zu sehen. Danach nimmt sich die Kamera sehr stark zurück. Manchmal, in einem plötzlichen Perspektivwechsel, sieht man den Effekt. In manche Bilder mischt sich aber auch etwas Beliebiges. Permanente Leidenschaft geht dann eben doch nicht. Eins ist sicher, dieser Film kann nur aus Spanien stammen.
Originaltitel: IBERIA
Spanien 2006, 91 min
Verleih: MFA
Genre: Drama, Musikfilm, Musik
Darsteller: Sara Baras, Antonio Canales, Manolo Sanlúcar, Estrella Morente, Enrique Morente
Regie: Carlos Saura
Kinostart: 22.06.06
[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...