Originaltitel: JE L’AIMAIS
F 2009, 105 min
FSK 12
Verleih: Concorde
Genre: Drama, Liebe, Literaturverfilmung
Darsteller: Daniel Auteuil, Marie Josée-Croze, Florence Loiret Caille
Regie: Zabou Breitman
Kinostart: 30.07.09
Nicht nach Hause. Definitiv nicht. Irgendwohin, nur nicht nach Hause. Er hört ihr zu, er besänftigt sie, er läßt sie ruhen, im Auto. Sie kriegt den gehetzten Blick trotzdem nicht aus dem traurigen Gesicht. Die Kinder schlafen schon auf der Rückbank. Wer ist diese Frau, wer ist dieser Mann, wessen Kinder sind das eigentlich? Diese reizvolle Schwebe hält Zabou Breitman eine ganze Weile, bis die Kinder zu dem Mann Opa sagen. Bis wir von der Flucht Chloés kleinere Details erfahren, eine Flucht vor ihrem Mann, der sie verließ, der sie zu diesem schnell aufbrausenden und dabei durch und durch verängstigten Mädchen machte. Pierre, ihr Schwiegervater, den sie siezt, will sie trösten, „ ... besser jetzt als zu spät“ und was man eben so sagt ...
Die ersten Bilder dieses sogartigen Films kontrastieren ganz stark: Raus aus dem hektischen Paris, hin zu den Schneegipfeln in ein Kaff bei Annecy, raus aus dem Krach, hinein in die Stille. Was vorerst wie eine Geschichte über innerfamiliäre Distanz, wie ein klassisches Ehedrama anmutet, wird von Breitman plötzlich und so wunderbar samtig-explosiv zu einer der schönsten, zu einer der im aktuellen Kino ganz seltenen Liebesgeschichten transformiert. Nein, nein, keine von diesen sozialdramatischen Leidensgeschichten über „alter Mann liebt junge Frau“, die auch noch familiär verbunden sind. Nur älterer Mann und jüngere Frau stimmt vielleicht, aber eben doch anders. Plötzlich liegt der Fokus auf Pierre. Und Mathilde. Und Suzanne, Pierres Frau. Letzterer gesteht er in einer beklemmenden Restaurantszene, daß er Mathilde liebt.
Und Verliebtheit schlaucht schon enorm, da sieht Auteuil dann aus wie ein müder Lino Ventura. Sehr müde schaut er auf seine verletzte und zur Gegenwehr entschiedene Frau, nur um kurz darauf in der sich so behutsam aufziehenden Liebesgeschichte, in der er Mathilde verfällt, zu rückblickender Frische aufzusteigen. Und wieder wählt Breitman einen Ortswechsel, von den Bergen in der Haute Savoie an den schlagenden Puls von Hongkong. Es ist nicht nur der Ort, es sind Breitmans Gespür für Blicke, dieses „Nichtauserzählen“, diese Läufe über Treppen und Flure, diese große Melancholie, die sich aus der Anonymität in gigantischen Städten speist – all das erinnert an Wong Kar-wai, den vielleicht letzten Romantiker des Kinos.
Und trotzdem und gottlob ist Marie-Josée Croze nicht Maggie Cheung, allein ihr Gesicht ist ein Kinowunder, das sich schon in SCHMETTERLING UND TAUCHERGLOCKE ankündigte. Dieses ökonomische Lächeln, dieser Sturm hinter der Brust, dieser ungestüme Stolz – deshalb fühlen wir mit Pierre, der durch mal hintersinnige, mal liebestrunkene Dialoge an der Hotelbar irrt, wo er Mathilde wiedertrifft. Sich an diese Frau verloren hatte er Stunden zuvor, als sie vor chinesischen Geschäftspartnern übersetzte. Darauf muß man erst einmal kommen, den Boden für eine Liebe zu bereiten, während man über Ammoniaktanks verhandelt ...
Breitman weiß genau, was Verliebte so tun. Sie schlendern über Fischmärkte, gehen essen, entdecken das wildpochende Herz wieder, das so lange ruhte. Sie leben die komplette Unvernunft ... bis der Spießer an Grenzen stößt. Und deswegen ist Breitmans Geschichte auch eine über Feigheit, über kleinbürgerliche Furcht, über vertane Chancen.
Deswegen berührt ihr Film ja so tief, weil er die Lächerlichkeit von Feiglingen offenlegt, weil seine Hauptfigur das Gift der Bequemlichkeit verspritzt, weil der Film nicht die Phantasie haben will, sich über seinen scheiternden Liebesnarren zu stellen und zu widerlegen, was Pierre doch selbst sagte: Man hat zwar alles und ist dennoch tot. Das ach so schwere Leid des Saturierten ersäuft das frühere, herzschlagende Selbstbekenntnis Pierres: „Parce que j’ai besoin d’elle!“ Quel dommage ...
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.