Zum zweiten Mal in kurzer Zeit erzählt ein Film von einem Vater wider Willen, der dazu gewungen wird, Zeit mit seiner kleinen Tochter zu verbringen. Zum zweiten Mal als Wohlfühlkomödie mit schwarzhumorigem Anteil. ROAD JULY, zu sehen bei den 5. Argentischen Filmtagen, wählte dafür die Reise im Auto, ICH REISE ALLEIN hingegen die Universität von Bergen, an der Jarle über Marcel Proust forscht. Beide Väter wollen nicht erwachsen werden und scheuen Verantwortung – klar, versteht sich. Erstaunlicher als das ist aber folgende Gemeinsamkeit: Sowohl der argentinische also auch der norwegische Vater sind rothaarig. Was das wohl zu bedeuten hat? Sind Rothaarige besonders unerwachsen oder widerspenstig?
Dabei wird es Jarle wirklich leicht gemacht. Gut, zu erfahren, daß man eine 6jährige Tochter hat, aufgrund eines One-Night-Stands, an den man sich kaum erinnert, und daß diese Tochter auf dem Weg zu einem ist, weil die Mutter endlich mal Urlaub machen will, das muß man erst mal verarbeiten. Aber Lotte, die bis dahin selber nichts von ihrem Papa wußte, ist erstens sofort bereit, ihn zu akzeptieren, und zweitens leicht zu beschäftigen. Außerdem bleibt sie nur eine Woche und wird von Jarles Studienkollegen samt seiner Geliebten ins Herz geschlossen. Jarles Mutter hilft auch noch mit. Wo ist das Problem?
Nun, Lotte verfolgt am liebsten Lady Dianas Beerdigung im Fernsehen und wünscht sich einen Tamagotchi. Für Mikchail Bachtins Schriften über Rabelais und den Karneval interessiert sie sich überhaupt nicht. Wie schade, daß der Film genau diese Kluft zwischen Kleinbürgerlichkeit und akademischem Elfenbeinturm nicht auszuspielen vermag.
Gut tut er allerdings daran, die Handlung in die 90er Jahre zu verlegen, als es noch echte Langzeitstudenten gab, und Familiengründungen nur von einigen Wenigen in Frage gestellt wurden. Mein Gott, daß die 90er Jahre jetzt schon so historisch wirken, das muß man wirklich erst mal verarbeiten. Überhaupt ist der Film da am stärksten, wo er sentimental wird.
ICH REISE ALLEIN, das ist nicht nur das Schild, das Lotte um den Hals trägt. Es ist übertragbar auf Jarle, seine Kollegen, seinen Professor, Lottes Mutter, die rechtzeitig zur großen utopischen Geburtagswiedervereinigungsparty auf der Matte steht. Wir alle reisen allein. Und in dieser Hinsicht nehmen wir gern an diesem wärmenden Feuerchen Platz.
Originaltitel: JEG REISER ALENE
Norwegen 2011, 94 min
Verleih: Neue Visionen
Genre: Komödie
Darsteller: Rolf Kristian Larsen, Amina Elonora Bergrem
Regie: Stian Kristiansen
Kinostart: 29.12.11
[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...