Als Regisseurin ist sie eine Alchimistin, und als Darstellerin verkörpert sie eine experimentierfreudige Sinnsucherin. Zum Spagat ist diese Doppelbesetzung für Miranda July nicht geworden, denn beides liegt soweit nicht voneinander entfernt. Die Zutaten zu ihrem Film sind sehr verschieden, aber July dosiert diese so bedächtig, als überließe sie es den Elementen selbst, zueinander zu finden oder nicht.
Da sind zunächst die Figuren: Das Leben des Schuhverkäufers Richard scheint sich nach der Scheidung von seiner Frau völlig aufzudröseln. Einziger Halt sind ihm die Kinder, die aber entdecken gerade ganz eigene Welten. Der 14jährige Peter avanciert zum sexuellen Zielobjekt zweier Nachbarsmädchen, und der 6jährige Ronnie unterhält eine erotische Beziehung per Internet-Chat. Die Regisseurin selbst spielt die Rolle der jungen Künstlerin Christine, die mit ihren Arbeiten erstmals an die Öffentlichkeit will. Diese Figur ist es, die nahezu alle Episoden des Films durchstreift und eine Verbindung nahelegt. Eine fortlaufende Handlung aber gibt es nicht.
Eindeutig unterscheidet sich der Film dadurch von den ebenso episodisch erzählten und doch logisch-stringenten SHORT CUTS oder MAGNOLIA. July intendiert wohl eine Verknüpfung der verschiedenen Szenen. Weitgehend bleibt es jedoch dem Zuschauer überlassen, was er mit den oft charmanten und immer überraschenden Offerten der Regisseurin anfängt. Die Themen hier sind vielgestaltig, mal nah an Erlebtem, wie wenn sie die Mechanismen des Kunstmarktes tangieren, mal philosophischer Natur, wenn es um die erlernte Sprachlosigkeit von Erwachsenen geht. Leichtes und Absurdes, Komisches und Tragisches finden hier zu einem wunderbaren Neben- und Miteinander.
An mancher Stelle jedoch gerät Julys Beharren auf dem Ausloten psychischer Tiefen unverständlich. In einem dieser traurigen, weil Distanz erzeugenden Momente, wird der Reiz einer wunderbaren Szene durch die ausgesprochene Liebeserklärung an einen Goldfisch fast zerstört. Hier wird der hoch komplexe Anspruch der vielseitigen Künstlerin Miranda July zur Gefahr: zuviel Unverständnis verwehrt dem Zuschauer den Eingang und läßt ihn vor den Bildern. Abgesehen davon ist ihr Film ein sehr sehenswertes Experiment mit glänzenden Zutaten.
Originaltitel: Me And You and Everyone We Know
USA 2005, 90 min
Verleih: Alamode
Genre: Episodenfilm, Erwachsenwerden, Drama
Darsteller: Miranda July, Ellen Geer, John Hawkes
Regie: Miranda July
Kinostart: 23.02.06
[ Jane Wegewitz ] Für Jane ist das Kino ein Ort der Ideen, ein Haus der Filmkunst, die in „Licht-Schrift“ von solchen schreibt. Früh lehrten sie dies Arbeiten von Georges Méliès, Friedrich W. Murnau, Marcel Duchamp und Man Ray, Henri-Georges Clouzot, Jean-Luc Godard, Sidney Lumet, Andrei A. Tarkowski, Ingmar Bergman, Sergio Leone, Rainer W. Fassbinder, Margarethe v. Trotta, Aki Kaurismäki und Helke Misselwitz. Letzte nachhaltige Kinoerlebnisse verdankt Jane Gus Van Sant, Jim Jarmusch, Jeff Nichols, Ulrich Seidl, James Benning, Béla Tarr, Volker Koepp, Hubert Sauper, Nikolaus Geyrhalter, Thierry Michel, Christian Petzold und Kim Ki-duk.