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Ida

Dem Himmel so fern

Was bedeutet die Nähe zu Gott? Sicher mag da jeder Gläubige eine eigene Meinung vertreten, für Anna, 18 Jahre jung, besteht die logische Konsequenz eines Aufwachsens als Waise im Kloster darin, Novizin zu werden. Doch kurz vor dem Gelübde dann der Quasi-Schock: Es existiert noch eine Tante, selbige muß vorher besucht werden.

Also macht sich Anna auf den Weg, um jene Wanda zu treffen – und erleidet den nächsten Magenschwinger: Sie ist Jüdin, heißt eigentlich Ida, ihre Eltern fielen dem Nazi-Regime zum Opfer, und Wandas Lebensinhalt besteht darin, die Mörder ausfindig zu machen. Für das Mädchen, welches mit großen Augen in eine völlig unbekannte Welt blickt und seine Verwandte eingeschüchtert siezt, beginnt eine Reise in die Vergangenheit. Und zwangsläufig soll diese nicht gerade leicht sein, was auch am kennenzulernden Gegenpart liegt. Die alkoholabhängige Ex-Richterin tritt feldwebelartig auf, sieht keinen Sinn mehr. Ihre Existenzgrundlage brach weg, jene „Rote Wanda“, ehemals Todesurteile verhängend, braucht keiner mehr. Sie stichelt gegen Idas Glauben, raucht Kette.

Man müßte die Unsympathin eigentlich hassen, doch kann es nicht, weil Agata Kulesza das komplexe, dreidimensionale Porträt einer getriebenen Seele gelingt. Sie stellt den eigentlichen Hauptpart der Erzählung, Ida agiert über weite Strecken passiv, bildet das Gefäß, welches Schmerz und Unrecht aufnimmt, dabei trotzdem die Handlung vorantreibt. Und sich manchmal aus der Demut löst, indem sie unter anderem zarte Bande zu einem Saxophonspieler knüpft, ihr gepriesenes rotes Haar aus der Haube befreit. Man kann zwar nur erahnen, wie schön da Farbreflexe tanzen mögen, geschuldet der Entscheidung, in Schwarzweiß zu drehen.

Andererseits erreichen die eingefangenen Aufnahmen so indes eine geradezu komponierte Klarheit aus Licht und Schatten, Kontrasten und Reduzierungen aufs Wesentliche. Analog zur Erzählung, welche kein Wort zu viel erlaubt, nirgends überflüssige Dehnungen duldet. Und jedes Trara verweigert – wenn eine der beiden Frauen schließlich ihr Schicksal selbst erfüllt, geschieht das beiläufig, ohne Aufhebens. Die Vergangenheit fordert immer noch Opfer, still und grausam. Folgerichtig sprechen am Ende die Bilder wortlos vom kleinen und großen Tod, vom Weitergeben und Flüchten. Umrahmt durch eine ultimative Ruhe, die nichts Himmlisches hat oder haben kann.

Originaltitel: IDA

Polen 2013, 80 min
FSK 0
Verleih: Arsenal

Genre: Drama

Darsteller: Agata Kulesza, Agata Trzebuchowska, Adam Szyszkowski

Regie: Pawel Pawlikowski

Kinostart: 10.04.14

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...