Bianca und Tómas haben ihre Eltern bei einem Autounfall verloren und sind von nun an auf sich selbst gestellt. Da die Waisenrente nicht reicht, verlassen sie die Schule und gehen arbeiten, Bianca als Friseurin, Tómas in einem Fitneßstudio. Doch die Finanzkrise erreicht Italien, selbst mit den Zusatzjobs kommen die beiden nicht mehr über die Runden. Gemeinsam mit zwei Freunden von Tómas hecken sie einen Plan aus, der ihnen eine sorgenfreie Zukunft bescheren soll.
Auf dem Weg dahin legt dieser außergewöhnliche Film ständig falsche Fährten, spielt mit den Erwartungen des Zuschauers, ohne zu ausgestellt verspielt zu sein. Eine große Freiheit des Erzählens, die sich direkt aus der Freiheit der Hauptfiguren speist. Die haben alle Möglichkeiten, können gehen, wohin sie wollen und tun, was sie wollen. Ihr Handeln folgt nicht länger der Diktatur des rationalen Denkens, sondern dem inneren Gefühl. Frei von den Vorstellungen und Regeln der Erwachsenen, leben die beiden Teenager ihre Träume und Phantasien.
Das junge lateinamerikanische Kino beweist hier einmal mehr seine unbändige Kraft und seinen Mut zum Anderssein. Für uns ist das ungewohnt, teilweise verwirrend, aber genau deswegen auch so erfrischend. Die Geschichte folgt keinem vorhersagbaren Muster, bleibt ständig überraschend und randgefüllt mit erstaunlichen Einfällen. Eine faszinierende Gratwanderung zwischen Drama, Komödie, Coming Of Age- und Erotikfilm. Denn bald schon spielt der Film fast ausschließlich in der Villa eines alternden Filmstars, der, inzwischen erblindet, früher in den berühmten MACISTE-Filmen den Herkules gespielt hat.
IL FUTURO scheint voll zu sein mit Zitaten aus der Filmgeschichte. Die Regisseurin schafft es, einem das Gefühl zu geben, jede Szene verbeuge sich vor einem anderen Klassiker. Schon im Vorspann erscheint Stanley Kubrick, wenn in bester SHINING-Manier ein gelbes Auto über eine Bergstraße fährt und von der Kamera verfolgt wird. Die verwaisten Kinder, ihre Lethargie und die ständig spürbare sexuelle Energie erinnern an den ZEMENTGARTEN mit Charlotte Gainsbourg. Und die Liebesgeschichte zwischen Bianca und dem alternden Filmstar, übrigens brillant gespielt von Rutger Hauer, ist eine italienische Version von DER LETZTE TANGO VON PARIS.
Faszinierend ist auch die Zeitlosigkeit, die das Werk dabei ausstrahlt. Es erzählt von einer Generation X, die es in den 90er Jahren schon einmal gab, die aber genauso gut im Hier und Heute leben könnte.
Originaltitel: IL FUTURO
Chile/D/Spanien/I 2013, 99 min
FSK 12
Verleih: Real Fiction
Genre: Drama, Erotik, Komödie
Darsteller: Luigi Ciardo, Rutger Hauer, Manuela Martelli
Regie: Alicia Scherson
Kinostart: 19.09.13
[ Marcel Ahrenholz ] Marcel mag Filme, die sich nicht blind an Regeln halten und mit Leidenschaft zum Medium hergestellt werden. Zu seinen großen Helden zählen deshalb vor allem Ingmar Bergman, Andrej Tarkowskij, Michelangelo Antonioni, Claude Sautet, Krzysztof Kieslowski, Alain Resnais. Aber auch Bela Tarr, Theo Angelopoulos, Darren Aronofsky, Francois Ozon, Jim Jarmusch, Christopher Nolan, Jonathan Glazer, Jane Campion, Gus van Sant und A.G. Innaritu. Und, er findet Chaplin genauso gut wie Keaton ...