Als der amerikanische Steward Steven „Sliding“ Slater nach der Landung kurz entschlossen ein Bier griff und über die Rutsche das Flugzeug verließ, war das die Kündigung des Jahres 2010, weltweit umjubelt. Filmreif auf jeden Fall.
Auch die französische Flugbegleiterin Ellen verläßt das Flugzeug, kurz vor dem Start in Frankfurt, über den Notausgang. Aber nicht, um der Welt den Stinkefinger zu zeigen. Sie will kein Zeichen setzen. Sie kann einfach nicht mehr zurück in ihr altes Leben. Nicht zu ihrem Freund, der ein Kind mit einer anderen erwartet. Nicht ins Krankenhaus, wo eine entscheidende Diagnose auf sie wartet. Nicht „Up In The Air“, wo doch nur eine seelenlose Landung nach der anderen folgt. Sie fällt im Alter von 43 Jahren aus allen Sicherheitsgurten. Vogelfrei, im doppelten Sinne, nur von einem Rollkoffer begleitet. Eine Odyssee, die etwas geradezu Halluzinatorisches hat.
Neuen Boden unter den Füßen bekommt sie ausgerechnet durch die Begegnung mit einer Truppe junger idealistischer Tierschützer und Kommunenbewohner. Auf einmal ist sie Teil einer Welt, in der es vollkommen normal ist, Affen auf der Schulter zu tragen, und in der selbst der gute alte Konsens als Idee überlebt hat. „Wer ist dafür, daß Ellen bleibt?“ Karl ist dafür. Obwohl über 20 Jahre jünger, kapselt er sich auch gerade aus einem alten Leben ab, im Gegensatz zu Ellen tut er es mit „der Arroganz der Jugend“, wie sie einmal treffend sagt. Trotzdem heiratet sie ihn, mit den Kommunarden als Zeugen.
Es stellt sich heraus, daß IM ALTER VON ELLEN vieles möglich ist. Auch ein Leben zu viert, wie es ihr Ex-Freund nun seltsam souverän vertritt. Aber es ist nicht Ellens Weg. Wo der nun letztendlich hinführt, bleibt trotz neuer Richtungsgebung die Frage. Die Bekanntschaft mit dem Idealismus bringt Ellen einen Schritt weiter, aber eine Perspektive scheint auch hier nicht auf. Die Tierschützer wirken wie Relikte aus einer untergegangenen Welt.
Pia Marais’ unkonventioneller Film beschreibt somit auch einen gesellschaftlichen Zustand. Nicht ohne untergründigen Situationswitz und surreale Elemente, bei denen man schon mal an 12 MONKEYS denkt. Jeanne Balibar, Stammschauspielerin von Jacques Rivette, fügt die entscheidende Somnambulität hinzu. So gelingt das Drama eines Gleifluges ins Ungewisse. Machmal weiß man eben nicht mehr, als daß es so nicht weitergeht.
D 2009, 95 min
Verleih: Real Fiction
Genre: Drama
Darsteller: Jeanne Balibar, Stefan Stern, Julia Hummer, Georg Friedrich
Regie: Pia Marais
Kinostart: 27.01.11
[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...