Wie sich die Themen gleichen: Ähnlich SHANGHAI, SHIMEN ROAD (Start am 20.3.) geht auch dieser Film von der Abgeschiedenheit eines Mikrokosmos’ aus, um sich globaleren Fragen zu öffnen. Wenn auch auf unterschiedliche Weise und an anderem Ort.
Hier lernen wir zunächst den jungen Jonathas kennen. Jener lebt mit seinen Eltern und Bruder Juliano im ländlichen Amazonasgebiet, betreibt dort einen Obststand, um Früchte an die Touristen zu verkaufen. Gleichzeitig dient er als Anlaufstelle für die wenigen Nachbarn, zum Reden, Tratschen, Neuigkeiten austauschen. Man beobachtet Entwicklungen „dort unten“, hält an seiner Individualität fest, lebt quasi umgeben vom Vakuum, beschützt und der eigenen Identität treu.
Was Regisseur Sergio Andrade mit distanzierter Ruhe inszeniert, den Personen ihren Freiraum läßt. Die Kamera bleibt stille Beobachterin und scheint manchmal selbst verwundert, welche Schönheit sie einfängt. Fast überirdische Farbenspiele, satte Vegetation, paradiesische Ruhe – ein Ort der Unschuld, porträtiert in meditativen und gefühlt fern der uns bekannten Realität verhafteten Bildern, jedes einzelne so wundervoll, daß man es als außenstehender Zuschauer festhalten, rahmen und an die kalkweiß rauhfasertapezierte Zimmerwand hängen möchte.
Eines Tages nun kommt Milly vorbei, Besucherin aus der Ukraine. Sympathie wächst, man unternimmt zu viert einen Campingausflug. Gespräche zwischen Jonathas und dem Mädchen geben weiteren Aufschluß über differierende Sichten, schließlich möchte der Bursche ihr seltenes Obst pflücken gehen, Zuneigung beweisen. Doch er verirrt sich im Dschungel ...
Von jetzt an löst Andrade alle Zeitebenen, die Orientierungslosigkeit des Jungen wird so für das Publikum spürbar. Fremde Geräusche, hilfloses Umherirren, wachsende Verzweiflung, irgendwann nackte Panik, Halluzinationen. Jonathas hat kein Auge mehr für die unglaubliche Ästhetik des Waldes, nach wie vor fast gnadenlos auf die Leinwand gebrannt, nur eben zunehmend poetisch grausam statt lichtdurchflutet hübsch. Mutter Natur fletscht unvermittelt die Zähne.
Das kann man durchaus metaphorisch lesen: von einem, der auszog, seine sichere Heimat verließ und unter die weltlichen Getriebe kam. Auf weniger tiefsinniger Ebene bleibt eine menschliche Urangst, der einsame Kampf ums Überleben. So oder so, selten war ein Kinobesuch derart beklemmend.
Originaltitel: A FLORESTA DE JONATHAS
Brasilien 2012, 99 min
FSK 12
Verleih: Bildkraft
Genre: Drama
Darsteller: Begê Muniz, Francisco Mendes
Stab:
Regie: Sergio Andrade
Drehbuch: Sergio Andrade
Kinostart: 13.03.14
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...