Während im NSU-Untersuchungsausschuß darüber gestritten wurde, warum auch der Einsatz diverser V-Männer keinen der Morde des rechtsradikalen Trios verhindern konnte, sitzen in Hamburg Menschen vor der Kamera, die jahrelang von mehreren verdeckten Ermittlern des Bundeskriminalamts bespitzelt wurden. Ihr Vergehen: Sie waren und sind politisch aktiv und Teil der linken Szene rund um das autonome Veranstaltungszentrum „Rote Flora.“
Sie alle kannten Iris Schneider, waren befreundet, machten mal Party oder gemeinsam Sendungen im freien Radio „FSK.“ Mit einer jungen, linken Wissenschaftlerin entwickelte Iris sogar eine intime Beziehung. All das kam schlagartig zu einem Ende, als sich 2014 zeigte, daß Iris nicht die war, als die sie sich jahrelang ausgegeben hatte. Nur wenige Monate später wurden zwei weitere verdeckte Ermittlerinnen im Umfeld der „Roten Flora“ enttarnt. Alle drei Polizistinnen tauchten ab, und für die Bespitzelten brach eine Welt zusammen. Sie waren über Jahre hinweg belogen und ausgespäht worden. Ihre einziges „Vergehen“ war es, in der linken Szene unterwegs zu sein. Es gab nichts, was diese stärkste Form der staatlichen Überwachung gerechtfertigt hätte. Ganz ähnlich lief auch die Geschichte des Polizisten Simon B. ab, der sich 2010 eigens an der Universität Heidelberg immatrikulierte, um linke Studierende auszuspähen, die nicht im Traum damit gerechnet hätten, einmal ins Fadenkreuz staatlicher Überwachung zu geraten. Sie alle sitzen nun vor der Kamera und bringen Licht in das dunkle Kapitel des Mißbrauchs staatlicher Gewalt.
Der Dokumentarfilm IM INNEREN KREIS gibt den Spitzel-Opfern das Wort, die sehr deutlich artikulieren, wie sie der Einbruch der Staatsgewalt in ihre Privatsphäre verletzt hat, und welche verheerenden gesellschaftlichen Folgen diese Praxis hat. Zu Wort kommen auch der Ex-Innenminister Gerhard Baum und der ehemalige Generalbundesanwalt Kay Nehm; die direkt Verantwortlichen in Politik und Polizei lehnten allerdings jedes Gespräch ab. Vor dem in Hamburg tagenden Untersuchungsausschuß zum Fall Iris P. verfahren die Verantwortlichen nach der auch im NSU-Ausschuß angewandten Scheibchentaktik: immer nur so viel zugeben, wie ohnehin schon bekannt ist. Genau aus diesem Grund sind Filme wie dieser so wichtig. Sie leisten Aufklärungsarbeit, wo staatliche Stellen Verschleierungstaktiken anwenden, und sie sensibilisieren uns alle dafür, was es eigentlich heißt, wenn sich der Staat die Freiheit nimmt, uns die Freiheit zu nehmen.
D 2017, 75 min
FSK 12
Verleih: Eigenverleih
Genre: Dokumentation, Polit
Regie: Claudia Morar, Hannes Obens
Kinostart: 08.06.17
[ Luc-Carolin Ziemann ] Carolin hat ein großes Faible für Dokumentarfilme, liebt aber auch gut gespielte, untergründige Independents und ins Surreale tendierende Geschichten, Kurzfilme und intensive Kammerspiele. Schwer haben es historische Kostümschinken, Actionfilme, Thriller und Liebeskomödien ... aber einen Versuch ist ihr (fast) jeder Film wert.