Was Eva Ionesco als Kind widerfahren ist, mag schockieren, Kopfschütteln auslösen, an allen moralischen Grundfesten zweifeln – und wäre heute als rein reaktive Äußerung doch nur Heuchelei. Denn: Klein-Eva war das Opfer eine egozentrischen Mutter, die nur zum Schein einer „Starkarriere“ ihre Tochter ins Rampenlicht zerrte – sie wollte glänzen, das Kind war ihr egal. Und derartige Ich-Bezogenheit schwingt heute nun mal in unzähligen elterlichen Entscheidungen mit – Klavierunterricht, Ballett, International School, trilingualer Kindergarten ...
Doch zum Glück geriet Eva Ionescos Abrechnung mit der eigenen Kindheit in keinem Moment zur gallebitteren Sozialstudie, zum Chant de misère, zur Jammerorgie – nein, es ist ein aufwühlendes Stück Kino geworden, ein geradezu pulsierender Film, woran die Hauptdarstellerin und deren glamouröses Aufschlagen allein im Auftakt schon keinen geringen Anteil haben. La Huppert schnappt sich diesen Film tatsächlich von der ersten Szene an: Sie ist Hannah, Fotografin, rauchend im Glitzerjüppchen und in weißblonder Ondolierpracht. Hannah überrascht ihre Mutter und die kleine Tochter Violetta, wenn sie nach nächtlichen Ausflügen urplötzlich in der Küchentür steht – mit Geschenken, stets in Eile, die Kamera im Anschlag, immerzu neue Ausreden. Die Oma klagt, wenn sie doch nur richtig arbeiten würde ... Eines Tages steckt die rastlose Hannah ihre Tochter in ein Prinzessinnenkleid, schminkt ihr die Lippen rot, läßt sie in Pose rücken und empfiehlt einen Blick „ ... als würdest Du durch die Hölle gehen!“ Und knips! Violetta sieht aus wie ein nuttiger Klon von Shirley Temple. Die Bilder werden zunehmend extremer, die Kunstszene und das Päderastenvolk sind am Jubeln, und Hannah genießt und besäuft sich am Ich, Ich, Ich! Daß sich ihre Tochter nach kurzer Spielfreude elendig fühlt, Grabschattacken wesentlich älterer Männer ausgesetzt ist und in der Schule als kompletter Freak durchgeht, zuckt sie mit gehobenen Schultern weg: „Et?“
Isabelle Huppert spielt in Höchstform diese kalte Frau, und trotz lässigem 70ies-Touch, entsprechender Kulisse und in manchem Moment geradezu abenteuerlicher Garderobe bietet Eva Ionescos Film gottlob wenig für Voyeure, sie dröselt konzentriert und nur auf den schnellen Blick oberflächlich eine Geschichte auf, die von fehlgeleiteter Mutterliebe, von Erpressung und Manipulation erzählt. Bisweilen erklären die Figuren ein wenig zu viel, letztendlich reißt das aber Isabelle Huppert raus, an der man sich auch nach über 60 Filmen nicht satt sehen kann, weil sie auch hier ihr ganzes Spektrum hoher Spielkunst entfaltet, wenn ihre Hannah aus purer Berechnung ihre Tochter anstachelt, wenn sie Heuchlerisches als wahrhaft deklariert: „Wir müssen die verlorene Zeit wettmachen!“ Wenn sie auch mal Wahres sagt, dabei aber doch nur Verantwortung abgibt: „Väter sind ein Handicap der Natur!“
Und wenn schlagartig der kalte einem geradezu hilflosen, einem an sich selbst verzweifelnden Blick weicht, weil Hannah weiß, daß das Spiegelbild gegen sie arbeitet – dann wird aus einem biografisch kolorierten Film großes Kino.
Originaltitel: MY LITTLE PRINCESS
F 2011, 104 min
FSK 12
Verleih: X Verleih
Genre: Drama, Biographie
Darsteller: Isabelle Huppert, Anamaria Vartolomei, Denis Lavant
Regie: Eva Ionesco
Kinostart: 27.10.11
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.