Noch keine Bewertung

Im Oktober werden Wunder wahr

Peruanischer Debütfilm in finnischer Tradition

Als der Pfandleiher Clemente eines Abends nach Hause kommt, findet er seine Wohnungstür aufgebrochen. Mit einem riesigen Küchenmesser bewaffnet, wagt er sich hinein. Doch was er findet, ist kein Einbrecher, sondern ein Baby in einem Strohkorb. Damit wäre die Gefahr vorbei, aber Clemente steht wie versteinert mit dem Messer in Angriffsstellung vor dem Kind, als ginge es um Leben oder Tod. Und irgendwie geht es das auch für diesen miesepetrigen, aber liebenswerten Typen, denn sein Leben verläuft nach einer strengen Ordnung: Wenn man etwas möchte, muß man dafür bezahlen. Diese ökonomischen Tauschverhältnisse sind auch Clementes bevorzugter Modus sozialer Interaktion. Doch damit ist es nun vorbei. Von den Bedürfnissen des Säuglings überfordert, bittet er seine Nachbarin Sofia um Hilfe. Die würde anstatt des angebotenen Geldes viel lieber seine Zuneigung erhalten und greift dafür in ihrer Verzweiflung schon mal auf alte Aberglaubensriten zurück.

Man könnte es Zufall, einen geschickten Schachzug des Verleihers oder einfach ein kleines Wunder nennen, daß ein Film mit diesem Titel gerade jetzt in die Kinos kommt. Was es auch gewesen sein mag, das Debüt der Gebrüder Vega ist ein sehr gelungenes Stück Kino mit großem Unterhaltungswert ohne Schenkelklopfer. Eine atemberaubende Symmetrie beherrscht die Bilder, die nur dafür gemacht scheinen, den exzellenten Schauspielern Raum zur Entfaltung zu geben. Dabei kommen sie fast ohne Sprache aus, in einem homogenen Zusammenspiel von Inszenierung und Bildkomposition.

Gleichzeitig schaffen es die Regisseure, die Szenerie nie starr wirken zu lassen. Sie benutzen die formale Stärke für ihren subtilen Humor. Wenn Sofia zum Beispiel den viel zu kleinen Stuhl, auf dem Clementes Kunden ihm gegenübersitzen müssen, durch einen gleich großen austauscht, Clemente seinen Kunden auf gleicher Höhe begegnen muß, und die ihm prompt auf der Nase rumtanzen. Kein Wunder, aber ein schöner Film mit immer wieder überraschenden Wendungen in der Geschichte, sozialkritisch eingesetzten Nebenfiguren, mit dokumentarischem Material von den Oktoberprozessionen und in einer intelligenten Farbführung, die jede Figur durch den Film begleitet.

Da ist noch viel zu erwarten von dem Land, das bis vor kurzem gerade mal fünf Spielfilme im Jahr produzieren konnte, und das die finanziellen Mittel inzwischen auf ein bisher nie da gewesenes Niveau erhöht hat.

Originaltitel: OCTUBRE

Peru 2010, 93 min
Verleih: Neue Visionen

Genre: Komödie

Darsteller: Bruno Odar, Gabriela Velásquez

Stab:
Regie: Daniel Vega, Diego Vega
Drehbuch: Daniel Vega, Diego Vega

Kinostart: 07.10.10

[ Marcel Ahrenholz ] Marcel mag Filme, die sich nicht blind an Regeln halten und mit Leidenschaft zum Medium hergestellt werden. Zu seinen großen Helden zählen deshalb vor allem Ingmar Bergman, Andrej Tarkowskij, Michelangelo Antonioni, Claude Sautet, Krzysztof Kieslowski, Alain Resnais. Aber auch Bela Tarr, Theo Angelopoulos, Darren Aronofsky, Francois Ozon, Jim Jarmusch, Christopher Nolan, Jonathan Glazer, Jane Campion, Gus van Sant und A.G. Innaritu. Und, er findet Chaplin genauso gut wie Keaton ...