Der seltsame Fremde fragt Jonas, was er denn am Herd zu suchen habe. „Erwachsen werden“, antwortet der Junge, „doch ich will das nicht!“ Jonas hatte den mysteriösen, schwarz gewandeten Mann um einen Topf gebeten, denn das Arsenal an nutzbaren Küchenutensilien ist jetzt aufgebraucht. Tierchen kriechen schon im Haus herum, das Geld ist alle, der Hunger groß. Vielleicht könnte der Mann mit den Spinnweb-Tätowierungen gleich noch ein Fahrrad für Miechen besorgen? Die Schwester braucht mit ihren vier Jahren noch sehr eigene Zuwendung, während sich „Zwischen-Bruder“ Nick schon selbst mit seiner großen Klappe hilft. Und Jonas mit zwölf? Hält die Familie zusammen.
IM SPINNWEBHAUS ist aus der Art geschlagen. Für einen deutschen Film sowieso, vor allem aber in seiner beeindruckenden Ästhetik, dem gelungenen Versuch, vorbestimmte Genregrenzen zu sprengen, was meint, die steile Vorlage hin zum gesetzten Sozialdrama mutig umzulenken. Regie-Debütantin Mara Eibl-Eibesfeldt erzählt ein Märchen, dunkle Mystery, die sich dennoch am Realen festzuhaken weiß.
Richter sagen „Vernachlässigung der Fürsorgepflicht gegenüber Schutzbefohlenen“ dazu. Eine alleinstehende Mutter hat ihre drei Kinder verlassen. Hilfeschreiend wollte sie Jonas, Nick und Miechen noch bei deren Vater abladen. Er lehnt ab. Auf dem Weg nach Hause sitzt schon Jonas am Steuer des Autos. Dafür müßte es eigentlich „Haushaltspunkte“ geben, fünf Euro gar. Auf diese Weise hatte sich das Quartett organisiert, jetzt aber nimmt Sabine den Kopf ihres Großen in die Hände und gesteht, sie müsse ins „Sonnenthal“, um ihre Dämonen zu bekämpfen. Zwei Tage sollen es sein, Monate werden daraus.
Jonas übernimmt. „Wir sagen nichts“, weist er an, versucht so etwas wie Routine, bringt Miechen in den Kindergarten, notlügt sich über die Runden. Er kocht Ungenießbares, bekommt die Waschmaschine zum Laufen, innerlich aber rieselt Salz in seine Wutwunden. So nicht, Mama! Ein Feuer! Ein Schrei! Ohne den in Reimen sprechenden schwarzen Fremden, der zu Felix Graf von Gütersloh und zum Schutzengel für Jonas wird, wäre es nicht zu schaffen.
Brillantes Schwarz-Weiß (Kamera Jürgen Jürges!), ein hartnäckiger Fokus auf die Geschwister und damit das Wagnis, das Spiel der Kinderdarsteller extrem herauszufordern sowie dieser fiebrige Grenzgang im Genre machen aus DAS SPINNWEBHAUS ein Statement. Unstrittig streitbar!
D 2015, 89 min
FSK 12
Verleih: Missing Films
Genre: Drama, Erwachsenwerden
Darsteller: Ben Litwinschuh, Helena Pieske, Lutz Simon Eilert, Sylvie Testud, Ludwig Trepte
Regie: Mara Eibl-Eibesfeldt
Kinostart: 12.05.16
[ Andreas Körner ]