D 2023, 118 min
FSK 16
Verleih: Missing Films
Genre: Thriller
Darsteller: Katja Bürkle, Ahmet Varli, Çagla Yurga
Regie: Ayse Polat
Kinostart: 04.01.24
Eine alte Frau mit bunt besticktem Kopftuch sitzt in einer einfachen Hütte und kocht Suppe für ihren Sohn, der vor einem Vierteljahrhundert entführt wurde. „Wenn ich gewußt hätte, was passiert, hätte ich ihn noch einmal umarmt und seinen Duft eingeatmet“, sagt die gepeinigte kurdische Mutter einer deutschen Dokumentarfilmerin in die Kamera.
Die Dokumentarfilmarbeit über immaterielle Denkmäler wird im ersten Teil des neuen Films von Ay?e Polat behandelt. Es geht ums Erinnern an vergangene Verbrechen, doch schnell wird klar, daß es längst nicht vorbei ist. Ein bedrohlicher Schatten liegt über allem, ein Anwalt erscheint nicht zum Interview, und Melek, die kleine Nachbarstochter der Übersetzerin, die mysteriös in die Kamera starrt, transportiert einen toten Vogel in ihrem Rucksack.
Im Verlauf entpuppt sich der Film als hochspannender Thriller, der von der Opfer- in die Täterperspektive wechselt. Nun geht es um die, die hinter den Greueltaten im Nordosten der Türkei stecken. Hauptfigur und Teil dieser mafiösen Strukturen ist ein junger Mann, der allerdings selbst unter Druck gerät und beschattet wird. Hinter jeder Ecke lauern unsichtbare Spione, die einen regelrechten Verfolgungswahn auslösen, auch beim Zuschauer. Hier liegt die Stärke von Polats hochkomplexer Erzählweise. In drei Kapiteln beobachtet sie die Handlung aus unterschiedlichen Perspektiven, springt vor und zurück.
Wie ein Puzzle setzt sich am Ende alles zusammen, ohne die Hintergründe zu erklären. Der Film, der in diesem Jahr auf der Berlinale lief, ist keine leichte Kost, offenbart – auf mystische Art und Weise – ein zutiefst unmenschliches und bedrohliches System.
[ Claudia Euen ]