André Heller war immer eine schillernde Figur, ein Talkshow-Sprenger mit Schmäh und Charme, der etwas von Auftritten und Sensationen versteht. Und dann vollbringt er hier sein wohl größtes Kunststück: er verschwindet hinter seinem Film, um einer beeindruckenden alten Dame das Podium für ihre Erinnerung zu hinterlassen. Nur ein Bücherregal und ein paar Möbelecken teilen sich mit Traudl Junge den Bildausschnitt, durch den man ihr zuschaut und zuhört. Wie wird man also Hitlers Sekretärin?
Man stellt sich vor, glänzt mit Orthographie und Fingeranschlägen, zeigt sich von seiner besten Seite und ärgert sich hernach über eine vorlaute Bemerkung bezüglich der Männer, die dem väterlich freundlichen Chef immer die hübschen Mitarbeiterinnen wegheiraten. Damals hieß Frau Junge noch Fräulein Humps, war Anfang Zwanzig und gehörte zu den Mitbewerberinnen, die eine Audienz beim Führer ohne Ohnmacht überstanden. Von 1943 an arbeitete sie für ihn, nahm Diktate auf - schließlich auch sein Testament, kurz vor seinem Selbstmord.
Knapp sechzig Jahre später blickt Traudl Junge auf diese Zeit zurück, erzählt von Hitlers Hund Blondi, von gemeinsamen Abendessen mit ihm und ihren Kolleginnen, von Eva Braun und Frau Goebbels, vom 20. Juli ’44, als sie mit der Frau Soundso wegen des lauten Knalls beunruhigt war. Jedes Detail hat sich in ihrem Gedächtnis eingegraben und drängt nun nach Draußen. Doch diese Frau monologisiert nicht - sie hält Zwiesprache mit sich selbst und hat für das Mädel von damals keine Entschuldigung bereit. Auch nicht für die ersten Interviewsequenzen, mit denen sie vor laufender Kamera konfrontiert wird. Sie ist nicht zufrieden - zu anekdotisch, zu beschaulich findet sie.
Doch was die Kamera findet, ist lautes Nachdenken über Schuld und Unerbittlichkeit gegen die eigenen Schwächen. Kein Schnitt, kein historisches Filmmaterial springt ihr zur Seite. Sie ist allein mit sich, klug zurückhaltenden Zuhörern hinter dem Objektiv und im Sessel auf der verborgenen Seite des Zimmers und uns, denen es den Atem verschlägt.
Österreich 2002, 90 min
Verleih: Piffl
Genre: Dokumentation, Biographie
Regie: André Heller, Othmar Schmiderer
Kinostart: 16.05.02
[ Sylvia Görke ]