Das Nichts ist die gängige Gegenreaktion zum Überfluß. Gern wird Verzicht in modernen Zeiten wie diesen zelebriert und bekommt so eine küchenphilosophische Komponente, die schon wieder Lust macht, ordentlich in die Vollen zu gehen. Als nächste Gegenreaktion. Bill Drummond würde man gehörig auf seinen nicht vorhandenen Schlips treten, rückte man ausgerechnet ihn in die Nähe eines durchkalkulierten Ausstiegs. Er war es, der 1994 auf der Bühne mit dem Musikerkollegen Jimmy Cauty eine Million Pfund verheizte, aus der Asche einen Ziegelstein fertigen und die zwei Jahre zuvor vollzogene Auflösung der legendären Band The KLF ins Löschen all ihrer Vervielfältigungsrechte von Ton- und Bildträgern führen ließ. Seitdem ist Drummond Projektkünstler.
Als solcher wurde er für den profunden (Musik-)Dokumentaristen Stefan Schwietert interessant. Nach famosen Filmen wie A TICKLE IN THE HEART und HEIMATKLÄNGE kam ihm Drummonds neuester Ansatz gerade recht. Es sollte um die Antwort auf die Frage gehen, wie es wohl wäre, alle Musik würde von jetzt auf gleich verstummen. Mit ihr alle Sendungen und Aufzeichnungen und erst recht jene inflationär präsenten Medien und Geräte mit dem „i“ davor. Der 62jährige zieht durch die Welt, sammelt Stimmen, vereint die Takes im temporären, nach Zufallsprinzip zusammengestellten Chor namens The 17 und löscht nach einmaliger Aufführung des Mixes alle „Bänder.“ Zumeist singen die Beteiligten nur einen Ton, höchstens eine Zeile. Proben? Nicht nötig. Es geht um den Nullpunkt der Musik. Die Kamera war dabei.
Drummond ist kein Selbstdarsteller, wenngleich er weiß, wann das rote Lämpchen leuchtet. Vielleicht war das auch die Krux beim Dreh, denn die Scheu der Protagonisten hatte eine Hürde mehr. Trotzdem erreicht IMAGINE … durch vorzügliche Kinobilder eine faszinierende Dichte und ist immer auch das Porträt eines Mannes. Einer, der eine Reise tut. Hin zu Feld- und Fabrikarbeitern, Senioren und Nonnen, pakistanischen Verwandten, in einen Pub, eine Klasse der 5. Primary-Stufe, ins innere Berlin.
Und als es immer logischer wird, daß am unweigerlichen Ende das entstandene Stück erklingt, unterlaufen Bill Drummond und mit ihm Stefan Schwietert das Erwartete. Alles andere wäre nur wie das Sinken der Titanic. Vor allem wäre es Betrug an der Sache.
D/CH/GB 2015, 86 min
FSK 0
Verleih: Real Fiction
Genre: Dokumentation, Musik
Regie: Stefan Schwietert
Kinostart: 22.10.15
[ Andreas Körner ]