Home Is Where The Heart Is ... oder wo Fremde schon mal mit Eiern gegen die Windschutzscheibe aufs Herzlichste begrüßt werden. Hier im beschaulichen Ewedown ist man doch ganz gern unter sich, die Idylle gehört den schon immer hier Wohnenden oder recht betuchten Großstädtern, die dem Londonkrach entfliehen wollen und im besten Fall Erleuchtung und die richtigen Worte finden – hier auf der Stonefield Farm, wo sich jede Menge Möchtegernautoren zusammenfinden, um ihre literarischen Ergüsse zu verfassen. Dabei klebt ein Großteil der Wortakrobaten an den Lippen des gefallsüchtigen Pfaus Nicholas, der es mit einer Krimi-Reihe zu einigem Ruhm und Wohlstand gebracht hat. Daran bastelt die Meute noch mit ihren Ausflügen in vage Thomas-Hardy-Biographien oder saftige Lesbenkrimis.
Die Ruhe wird jäh gestört, als Tamara Drewe in dieser pittoresken Einöde aufschlägt: She’s Back For Good – neue Nase, neues Selbstbewußtsein, nun soll das Haus ihrer Kindheit verkauft werden. Ganz Ewedown dreht am Sender, denn Glamour hält mit der Boulevardjournalistin Einzug, besonders als sie auch noch einen echten Rockstar auf ihre Laken zerrt. Da rasten selbst die beiden Teens der Ortschaft aus, sie phantasieren plötzlich über wilden, hohlen Sex – mit 12 oder so. Überhaupt ist „Sex“ das Zauberwort, der ganze Ort steht Kopf, mal sind es neuerliche Begierden, mal Jugendsünden wie einst zwischen Tamara und dem noch immer recht schüchternen Andy, und dann bisweilen recht unappetitliche Seitensprünge vom Großmaul Nicholas, der seine sympathische, aufs Cookiebacken sich beschränkende Gattin Beth nach Strich und Faden betrügt. Und selbst Ziege Ingrid ist brünftig ...
Ja, das klingt ein wenig wüst, fast chaotisch, gerät aber unter den Fittichen von Stephen Frears zu einer fabelhaften, leidenschaftlichen, bisweilen erfrischend hysterischen und dabei durch und durch liebenswürdigen Komödie, die auch in ihren tragischeren Momenten nicht aus dem Ruder läuft. Das liegt zum einen an den teils abenteuerlichen Personenkonstellationen, denn Frears hat wenig Furcht vor unpassenden Deckeln auf manchmal leeren Töpfen, wozu so manche verbale Entgleisung der Liebeshungrigen gehört. Frears aber nimmt die Sehnsüchte und das erotische Begehren seiner Figuren ernst. Deshalb läßt er die kleine Zoe wie nebenher eine ziemlich fiese Intrige anzetteln. In ihr, diesem pubertären, sommersprossigen Zwerg, kulminiert das, was uns am Leben hält: gehört, geliebt und geküßt werden.
Daß es da auf dem Lebenskarussell immer wieder eitle Fehlbesetzungen, herbe Enttäuschungen, und mancher Trost auf dem falschen Laken gesucht wird – das weiß Frears, das zeigt er hier, weshalb es nur „echt“ ist, daß Tamara zwischen Lotterweib und Unschuldstrine schwankt, wodurch die Sympathien ihr nicht immer sicher sind. Dazu gehört aber auch, daß Frears gerade am Ende notwendige Einsparungen beim Personal auffährt.
Da kriegt dieses Wohlfühlstück neben den Reisefieber auslösenden Landschaftsbildern und diesem fast unwirklichen Licht eine gallige Note, die ihm ganz gut tut und IMMER DRAMA UM TAMARA dennoch zu einem leichtfüßigen und in seiner ungestümen Art durchweg heiteren Filmvergnügen macht.
Originaltitel: TAMARA DREWE
GB 2010, 111 min
FSK 12
Verleih: Prokino
Genre: Tragikomödie, Erotik
Darsteller: Gemma Arterton, Dominic Cooper, Luke Evans
Regie: Stephen Frears
Kinostart: 30.12.10
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.