Originaltitel: LA FRACTURE
F 2021, 99 min
FSK 12
Verleih: Alamode
Genre: Tragikomödie
Darsteller: Valeria Bruni Tedeschi, Marina Foïs, Pio Marmaï, Aïssatou Diallo Sagna, Jean-Louis Coulloc’h
Regie: Catherine Corsini
Kinostart: 21.04.22
Ja, auch Frauen schnarchen gewaltig! Und weil das so ist, findet Julie nach dem Aufwachen haßerfüllte Nachrichten ihrer um den Schlaf gebrachten Partnerin Raphaela auf dem Handy – genau 34. Überraschend ist die Schimpfkanonade aber nicht, das Paar steht kurz vor der Trennung. Oder gibt es noch Hoffnung? Zumindest eilt Julie in die Notaufnahme, als Raphaela wegen eines gebrochenen Arms dort eingeliefert wird. Und draußen eskaliert eine Gelbwestendemo …
Da toben also private Kämpfe ebenso wie Straßenschlachten, und schon der Originaltitel LA FRACTURE birgt reizvolle Komplexität: Meint er Raphaelas Fraktur? Den Beziehungsbruch? Oder den die Gesellschaft spaltenden Riß? Regisseurin Catherine Corsini spielt mit Deutungsmöglichkeiten, vertritt klare Positionen fern Oberlehrerinnengebärdens und weiß, wie wirkungsvoll winzige Momente sind: Eine Sterbende, deren Hand im brüllenden Chaos gestreichelt wird. Ein Schal, der zukünftigen Ex zurechtgerückt. Augenblicke der Rückbesinnung, während Herzinfarkte, Lungenembolien, abgerissene Gliedmaßen auf Versorgung warten, parallel die Egoshow „Ich bin schlimmer dran als Du!“ tönt, Macron im Fernsehen salbungsvolle Worte spricht, das Personal übers Limit hinaus arbeitet; daheim gibt der überforderte Mann derweil sein Bestes, die stark fiebernde Tochter zu betreuen. Mancher denkt offen über Kündigung nach, mittendrin fällt die Bude zusammen. Wortwörtlich. Und wenn es kreischt, jemand hätte „die Blonde“ gewählt, grätschen ganz plötzlich aufgestaute Pauschalisierungen durch den Raum, könnte die Schere kaum größer sein. Erneut im doppelten Sinne.
Bei aller Hektik, jedem Geschrei gelingt es Corsini meisterlich beiläufig, der Situation völlig konträr relativ unaufgeregt und stellenweise sogar befreiend komisch, das marode Gesundheitssystem zu entlarven, unterstützt von einem Ensemble, aus dessen Brillanz selbst die gewohnt hinreißende Valeria Bruni Tedeschi bloß knapp herausragt. Ihre Raphaela, ein Mix aus wehleidigem Luxusweibchen und unsicherem kleinen Mädchen, nervt und berührt gleichermaßen, man begreift, wieso Julie weg will, muß – ohne es zu können.
Final endet diese Nacht wohl ähnlich vielen davor: Das nächtliche Paris sieht atemberaubend aus. Ein Rollstuhlklau kitzelt kindlichen Übermut heraus. Und Krankenschwester Kim? Sie weint.
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...