D 2017, 125 min
FSK 12
Verleih: Zorro
Genre: Tragikomödie
Darsteller: Franz Rogowski, Sandra Hüller, Peter Kurth
Regie: Thomas Stuber
Kinostart: 24.05.18
Man hat sie doch einigermaßen satt, diese glatten, auf Komik gebürsteten Liebesstücke heimischer Herkunft, gleichermaßen über hat man die in sich gekehrten, an allem und nichts zweifelnden, sich mit banalen Luxusproblemen herumschlagenden und um sich zirkelnden Figuren all jener Filmschulenabschlußfilme, die in frecher Regelmäßigkeit nicht mehr erreichen, als Leinwände zu blockieren. Aber wie bitte erzählt man zeitgemäß, glaubwürdig, mit sozialem Anker und darüber hinaus mitreißend von Zweifeln am Alltag, dem Ergreifen von Chancen und bitte sehr von Liebe? Nun, man könnte es wie Thomas Stuber machen. Denn: Mit welcher Eleganz, in welch’ teils magischer Stille man von Liebessehnsucht, von Einsamkeit und der für gar nicht so wenige Menschen überlebenswichtigen Notwendigkeit einer Struktur erzählen kann, beweist sein Film IN DEN GÄNGEN.
In drei Namenskapiteln erzählt er von Christian, Marion und Bruno, die im Großmarkt arbeiten, wobei die sich vorsichtig anbahnende Sehnsuchtsgeschichte von Frischling Christian und Miss Süßwaren Marion im Zentrum steht. Christian ist der Neue zwischen den Regalen eines Großmarktes, die Arbeit soll auch Chance sein, nach dem Verlust des Jobs auf der Baustelle. Doch über Vergangenes wird kaum gesprochen, es wird ohnehin eher geflüstert als gequatscht, Christians Tätowierungen erzählen außerdem eigene Geschichten. Stuber läßt sich wohltuend Zeit, Charaktere und Lebenslinien, Neigungen und Sehnsüchte freizupinseln. Erst einmal wird Christian angefaucht, von Bruno: „Ich brauche keine Hilfe!“ Und doch wird es gerade der bullige Kerl aus der Getränkeabteilung sein, mit dem Christian einen speziellen Faden spinnt, dem er vertraut, in kleinen Schritten, eher über Gesten und Blicke als mit klaren Sprüchen. Brunos Schicksal schließlich ist ein gemeines, das Christian, der, Blick und Körperhaltung verraten es, selbst nicht wenig Mieses erlebt hat, tief trifft. Denn diese Arbeiter im Markt sind schon eine besondere Bande, man macht gemeinsam eine „15“, auf Zigarettenlänge lernt man sich kennen, Schach wird gespielt, am Kaffeeautomaten schließlich taucht gar eine Fee auf, die Christian sicher nicht zur Quasselstrippe werden läßt, die sich aber – ebenso in aller gebührenden Behutsamkeit – in sein Herz mogelt. Was aber auch wieder der Anfang einer komplizierten Geschichte ist ...
Es ist ein eigenwilliger Mikrokosmos, wir blicken in den Arbeitsalltag einfacher Leute – mit teils tänzerischen Bildern von Gabelstaplerfahrten durch die nächtlichen Verkaufsregale zu den Klängen von Strauß’ „An der schönen blauen Donau.“ Erzählt wird ohne Verbitterung, wie armselig und verzweifelt unser Leben doch manchmal ist. Dieser Blick in abgearbeitete, mit scheuer Hoffnung erfüllte Gesichter, dieses Aufgehen der wunderbaren Schauspieler Franz Rogowski und Sandra Hüller in ihren Kittelschürzen und das Hineinsinken in diese originäre Welt zwischen Getränkekisten und Palmenpostertapete stehen für einen poetischen Realismus, wie es ihn nach DIE LEGENDE VON PAUL UND PAULA, nach Andreas Dresens frühen Filmen und nach manchem Werk Kaurismäkis lange nicht mehr gab.
Stuber ist aber kein Epigone, seine Filme haben eine Handschrift, Tempi passen zum Wesen der Hauptfiguren, es gilt, nichts zu überstürzen, aus dem Frischling wird ein Mann, der anpacken und verteidigen kann. Es braucht Geschick, wenn man glaubhaft den Sound einer Markthalle in Meeresrauschen wandelt, wenn man auch als Zuschauer Marions Geruch in den Gängen wahrzunehmen meint, man Teil einer eingeschworenen Gemeinschaft wird, die Glück und Melancholie zugleich empfindet in eigenwilligen Ritualen wie dem Weihnachtsgrillen auf der Laderampe oder dem
– verbotenerweise – Retten von weggeworfenen Lebensmitteln.
[ Michel Eckhardt ]