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In ihren Augen

Eine Mörderjagd über Genregrenzen hinweg

Mal ehrlich: Der OSCAR verkommt ja immer mehr zur Farce. Wenn zum Beispiel unberechtigt ausgezeichnete Schauspielerinnen in schweinchenrosa Klamottage hysterische Heulanfälle produzieren. Oder ganz einfach Blödsinn groß abräumt. Ist es demnach überhaupt ein Prädikat, daß dieses Werk den Goldjungen als bester fremdsprachiger Film gewann?

Es entführt nach Argentinien anno 2000, wo der Kriminalbeamte Benjamín in den Ruhestand geht. Doch Erinnerungen lassen dem Pensionär keinen Frieden, primär wühlt in seinem Kopf die Ermordung einer jungen Frau vor 25 Jahren, was die erste Rückblende impliziert, zum Tatort. Und beim Anblick des grausam zugerichteten Opfers versteht man Benjamíns Qual. Nun folgen Ermittlungen, der Mörder kann endlich identifiziert werden – doch dann geschieht etwas unglaublich Zynisches, womit das Ganze zum Politikum gerät.

Längst hat der Film sein Publikum da schon gepackt, wo es weh tut, und läßt trotz recht üppiger Laufzeit bis zum Schluß kaum mehr los. Dabei funktioniert der stete Wechsel zwischen Vergangenheit und Gegenwart ebenso wie auflockernder, aber den Ernst nie verwässernder Humor oder eine ergreifende Metaebene. Denn IN IHREN AUGEN weiß auch sehr ergreifend von Zuneigung zu berichten. Jedoch von einer unerfüllten, chancenlosen Liebe, welche daran scheiterte, daß zwei Menschen ihre Ängste nicht überwinden, nicht zueinanderfinden, vielleicht sogar die festgezurrten und hier quasi vertauschten Geschlechterrollen nicht aufweichen oder wenigstens akzeptieren konnten. Bis es schließlich zu spät war. Jederzeit unaufgeregt formt sich so ein extrem komplexes Mosaik, dessen Umrandung philosophische Exkurse bilden, wobei zentral immer wieder das Thema Schuld im Raum steht – manchmal durchbrochen von (auch psychisch) krassen Gewalttätigkeiten.

Die Finalwendung als Abschluß des Thrillerstrangs ist dann schließlich ebenso unvorhersehbar wie aufwühlend, und obwohl sie rein äußerlich, in Sachen Dialogaufkommen, ebenfalls der ruhigen Erzählweise treu bleibt, hallt diese Stille mit unangenehmen Fragen noch lange nach dem Abspann hinaus: Rechtfertigt ein Verbrechen jede Strafe? Kann Rache eine Lösung sein? Wo endet Sühne und beginnt eigene Täterschaft?

Um also der Form halber die obige Frage schnell noch mit einem expliziten Satz zu beantworten: Ja, die Academy hat tatsächlich mal wieder einen Treffer gelandet.

Originaltitel: EL SECRETO DE SUS OJOS

Argentinien/Spanien 2009, 129 min
FSK 12
Verleih: Camino

Genre: Thriller, Liebe, Polit

Darsteller: Ricardo Darín, Soledad Villamil, Pablo Rago, Javier Godino, Guillermo Francello

Regie: Juan José Campanella

Kinostart: 28.10.10

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...