Gleich mal zum Personal: Da sehen wir den Chef-Psychiater, der auf der Arbeit entschlossen und recht einsilbig regiert, zuhause sich aber um die schwerkranke Tochter kümmert und dabei die Bedürfnisse seiner Frau übersieht. Außerdem die x-te Kopie eines Aufsteigers, der viel Kohle mit Parties macht, sich Koks durch die Nase zieht und beim Ficken in den Spiegel schaut. Der Einstieg ist also fast klassisch, geradezu konventionell. Jan Fehse stellt recht knapp in Gegenschnitten die unterschiedlichen Welten seiner Protagonisten vor, das soll genügen, um sich in die Zerrissenheit, in diese Parallelwelten, gleichsam in komplett verschiedene Milieus einzufühlen. Tut es aber nicht, weil das so nicht geht.
Weil das flott anekdotische Erzählen an der Oberfläche nur dann interessiert, wenn darauf ins subkutane Gewebe der Figuren, in deren Umstände und Motive getaucht wird. Das aber geschieht bei Fehse nur ganz selten, er zieht sich leider auf abgegriffene Bilder zurück, auf zu oft gesagte Sätze, er vertraut auf geradewegs berechenbare Charaktere. Denn natürlich wird Dr. Frick auf eine andere Frau treffen, die nicht derartige Forderungen wie die eigene stellt, natürlich wird sich die bisher leidensfähige Sarah von diesem Drogenarschloch trennen, und selbstverständlich werden die dann ins Spiel geführten Menschen so komplett verschieden sein, daß man schon zu Beginn das schwere Ende des Films erahnen muß. Das kann doch alles nicht gut gehen ... und genau das macht es dann auch.
Es ist die Schwester einer ehemaligen Patientin von Dr. Frick, die ihm im Chefarztzimmer unterm Tischlampenlicht erstmals in die Augen schaut. Luisa bringt ihm ein Geschenk, das sie in der Wohnung der Schwester nach deren Selbstmord fand. Die erste Beklemmung weicht einer spontanen Begegnung auf einem Reiterhof, ja wir sind im Süddeutschen, wo Kindern und Junggebliebenen die Nähe zum Pferd quasi in die Blutbahn gegeben wird. Und schließlich taut das Eis bei einem gemeinsamen Getränk am Viktualienmarkt endgültig. Sarah hingegen trifft auf den ruppigen, zotteligen Ben, ein richtiger Kerl, wild, unrasiert und voller Leidenschaft. Eine ehrliche Haut zweifelsohne, also auch nix für ein Happy End ...
Und so erzählt sich der Film quasi irgendwie von allein weiter, ohne seine papierene Herkunft verleugnen zu können. Es raschelt unentwegt und dräut aus allen Ecken: Was für ein Mensch wird man denn, wenn einem sehr weh getan wird, wenn man den ganzen Tag suizidal gefährdete Menschen um sich herum hat, wenn man sich ständig Schnee unter die Nase streut? Das hätte durchaus ein spannender, auch psychologisch ausgeloteter Blick in die Ängste von geprüften Menschen werden können. IN JEDER SEKUNDE hingegen strotzt vor Sprüchen, die man mit wenig Mühe in manchem Poesiealbum finden würde, da können auch redlich gute Schauspieler wie Sebastian Koch nicht an. Und so wird aus dem sicherlich klug gedachten Schicksalspuzzle allenfalls ein etwas belehrendes Mosaik aus zusammengeschüttelten Botschaften.
D 2008, 104 min
Verleih: X Verleih
Genre: Drama
Darsteller: Sebastian Koch, Barbara Auer, Wotan Wilke Möhring, Jenny Schily, Mina Tander
Regie: Jan Fehse
Kinostart: 11.12.08
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.