London, ein Flüchtling namens Jamal Udin Torabi. Geduldet wird er hier bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres, dann fliegt er raus. Dieser Tag wird kommen: denn dies ist die Wirklichkeit, in der die Zeit immer weiter läuft, und wir werden vielleicht nie davon erfahren, weil eine Abschiebung keine Zeitungsmeldung wert ist.
In Michael Winterbottoms Film kann man Jamal kennenlernen, denn er war einer der beiden Hauptdarsteller. Die reale Flucht hat er mit dem Geld finanziert, das er für eine gespielte Flucht bekam. Auch die erfundene Geschichte des Jamal beginnt in einem pakistanischen Flüchtlingslager. Die Familie beschließt, seinen Cousin nach London zu schicken, damit wenigstens er eine bessere Zukunft hat. Jamal geht mit, denn im Gegensatz zu Enayatullah spricht er leidlich englisch. Sie wählen den Landweg, denn dafür verlangen die Schleuser weniger Geld. Die beiden gelangen in den Iran, dann weiter in die Kurdengebiete, in die Türkei, nach Frankreich und von dort per Schiff, in einem Container versteckt, endlich nach Großbritannien.
Mit der digitalen Kamera hat Winterbottom gefilmt und erreicht mit dokumentarischen Mitteln weit mehr als nur die Anmutung von Authentizität. Er inszeniert mit poetischer Kraft, mit erzählerischen Straffungen, mit dramatischen Wendungen und entwickelt so eine Fluchtgeschichte, die schrecklich beispielhaft alle anderen in sich trägt. Durch die Augen der Jungen nehmen wir Abschied von vertrauten Landschaften, von einem bestimmten Licht. Durch sie hindurch fühlen wir das Mißtrauen gegen die bezahlten Helfer, die eine andere Sprache sprechen. Und die Dunkelheit des Containers, das Rütteln an Türen und Wänden, Enayatullahs Todesschreie, die Jamal bis in den Abspann begleiten, werden wir nicht vergessen.
Vielleicht muß man dem globalen Mitgefühl auch didaktisch auf die Sprünge helfen, und so sollte man sich von den Landkarten und schriftlichen Belehrungen zwischen den dramatischen Szenen einfach nur in den Erste-Welt-Hintern getreten fühlen. Dies ist eine Unterweisung im wütend werden und das vielleicht bitterste Road-Movie überhaupt - weil es sich in der Wirklichkeit tausendfach zugetragen hat und sich dort immerzu tausendfach wiederholt. Jamal wird das am besten wissen.
Originaltitel: IN THIS WORLD
GB 2002, 89 min
Verleih: Arsenal
Genre: Drama
Darsteller: Jamal Udin Torabi, Enayatullah
Regie: Michael Winterbottom
[ Sylvia Görke ]