Originaltitel: INSIDE LLEWYN DAVIS
USA 2013, 105 min
FSK 6
Verleih: StudioCanal
Genre: Tragikomödie, Poesie
Darsteller: Oscar Isaac, Carey Mulligan, Justin Timberlake, John Goodman
Regie: Ethan Coen, Joel Coen
Kinostart: 05.12.13
So einen Anfang leisten sich nur Kinomeister: einen Mann, der ein Lied singt auf einer kleinen Bühne, in ein paar ruhigen Halbnahen für die komplette Länge dieses Liedes zu zeigen. Und man ahnt, wie hier schon manche, auf die Erzähleffizienz zackiger Schnitte konditionierte Gegenwartszuschauer an Geduldsgrenzen stoßen dürften. Aber für solche Zuschauer haben die Brüder Joel und Ethan Coen ja eh noch nie Filme gedreht.
INSIDE LLEWYN DAVIS heißt ihr neuestes Werk, das wieder wunderbar autonom im vom Fließbandschrott zugemüllten Kinouniversum kreuzt. Es ist das Coen-Idiom dieser Geschichten, die so unverwechselbar das Leben als Farce zeigen, aber auch in den düsteren und gewalttätigen Filmen immer das Angebot zum Lachen bereithalten. Man kann das als sehr jüdische Weltsicht apostrophieren, und es wäre nicht verkehrt. Man würde aber zugleich die künstlerische Ausnahmestellung der Coens schmälern, haben die doch mit den Jahren eine Souveränität und Klasse erreicht, die den Eindruck vermittelt, nichts könnte diese je wieder anfechten. Und das zeigt eben auch schon die Anfangssequenz von INSIDE LLEWYN DAVIS, die in ihrer Selbstverständlichkeit nicht nur schön ist, sondern zudem darauf verweist, was hier gleich erzählt wird: Die Geschichte eines Mannes, der für die Musik, aber nicht fürs Leben gemacht ist.
Llewyn Davis heißt dieser Mann. Ein Folksänger im winterlichen New York des Jahres 1961. Durch eisige Straßen streift der Kerl in Jacken und Schuhen, die bestenfalls an Oktobertagen noch wärmen. Unterm Arm seine Gitarre und eine Katze, die nicht seine ist, für die ihn aber eine Abfolge absurder Zufälle die Verantwortung auferlegte. Und die es ihm nicht leichter macht, das Wohlwollen jener von Llewyn zunehmend genervten Menschen zu finden, bei denen er in Ermangelung einer eigenen Wohnung abwechselnd unterkriecht.
INSIDE LLEWYN DAVIS singt in Strophen bezaubernder Spröde und Lakonie die Ballade vom gebeutelten Folksänger. Die Frau seines besten Freundes hat Llewyn geschwängert, sein einstiger Gesangspartner hat sich umgebracht, Erfolg ist nicht greifbar, und wenn er es ist, vermag Llewyn das nicht zu erkennen. Dann wird Llewyn auch noch verprügelt …
Ein Film über einen, der einsteckt und einsteckt, traurig-komisch und voller Musik und Schneetreiben, wechselnd zwischen dem kalten Licht der Straßen und der gedämpften Wärme des Gaslight Café. Wie auf farbbleichen Fotos entfaltet sich ein New-York-Kosmos, aus dem Llewyn nur kurz ausbricht: für einen Trip nach Chicago, der zu einem derart absurden Roadmovie-Intermezzo gerät, daß diesem ein Platz in der Kinogeschichte sicher sein dürfte.
INSIDE LLEWYN DAVIS erzählt auch von einem Moment der Popkultur, in dem etwas bevorstand, etwas in der Luft lag. Noch herrscht Winter, aber bald! Nur, daß Llewyn in diesem Winter verharren wird. Das ist sein Schicksal, so wie es das Schicksal jenes Dave Van Ronk war, nach dessen Vorbild die Coens die Titelfigur ihres (im übrigen durchweg fabelhaft besetzten) Films zeichneten. Zu dessen Ende wird ein anderer Sänger auf der Gaslight-Bühne zu hören sein. Einer, der bald zum Messias des Neuaufbruchs werden soll, und dessen „Farewell“ auch ein Gruß an Llewyn ist, der im Vergessen zurückbleiben wird.
[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.