Provinz ist immer schrecklich. Amerikanische Provinz ist immer schrecklicher. Dort bestechen die einfachen Menschen nicht nur durch bärbeißiges Spießertum und reaktionäres Minderheiten-Gedisse, nein, hier paart sich diese Kaffeekränzchen-Mentalität meist noch mit einem bibeltreuen Glauben, der ja bekanntlich Schwulen und Lesben nicht eben die Himmelstüren offenhält. Doch hier in Azalea Springs geht es ja erst einmal anders los: da richtet sich der Argwohn der älteren Damen bei der Nagelpflege und die übellaunigen Attacken der kernigen, straighten Typen zwischen Golfplatz und Fitneßstudio gegen das "Haus der Hoffnung". Hier werden AIDS-Kranke gepflegt, in ihren letzten Momenten betreut. Natürlich hat keiner der Landeier etwas gegen die Pflege von Schwerkranken, aber doch bitte keine Homos in ihrer Nähe. Alle auf eine Insel und gut is!
Entsprechend schwer hat es Grace, die engagiert auf der Krankenstation aushilft, sich gegen ihre hysterische Mutter durchzusetzen. Verwirrender wird es, als sie einer früheren Freundin begegnet, die lesbisch lebt. Bis Grace sich in sie verliebt ... Sehr kompliziert ist es auch für Mark, der sich in einer "Anti-Homo-Selbsthilfegruppe" auf dem Wege zur "Besserung" befindet, bis ihm der knackige Maler Tomas in die Quere kommt. Ganz irre wird es in dem bisher recht beschaulichen Kaff, als der exzentrische Dorfschwule Spencer verlauten läßt, das Homosexualität etwas mit der Qualität des Trinkwassers zu tun haben könnte. In einem Land, in dem TV-Prediger mit ihrem Gesabbel zu Vermögen kommen, wird auch so etwas geglaubt ...
Ein belustigendes Spiel mit den Klischees wird in Kelli Herds Film geboten, doch nicht nur das allein: Ihr gelingt es, trotz aller Überzeichnungen ein Bild latenten Rassismus’ und ländlicher Feindseligkeiten zu zeichnen, wie es sie heute noch immer gibt. Da bleibt Jüngeren naturgemäß nur die Flucht in die Großstädte, in die Anonymität, hin zu Freundschaften, die die Familie ersetzen. Das beschreibt trefflichst die Doppelmoral einer Nation, die Freiheit zum höchsten Gut unter dem Sternenbanner deklariert.
Da Herd aber keine dröge Schulstunde am Herzen lag, ist ihr Ausflug in texanische Gefilde sehr unterhaltsam und hochamüsant gelungen. Mit viel Liebe fährt sie auch ein Kabinett schriller Figuren auf, in dem vor allem Graces Mutter als altgewordene, exaltierte Supertussi besticht. Eine Figur, die zum Lachen animiert, die aber auch nachdenklich stimmt. Aufgebrezelt wie sie ist, erinnert sie an Barbara Valentin. Allerdings nicht zu deren besten Zeiten ...
Originaltitel: IT’S IN THE WATER
USA 1997, 100 min
Verleih: Pro Fun
Genre: Tragikomödie, Schwul-Lesbisch
Darsteller: Derrick Sanders, Teresa Garrett, Keri Jo Chapman
Regie: Kelly Herd
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.